Im Schatten des Münsters - Buthe, H: Im Schatten des Münsters
nervös mit ihrer Halskette gespielt.
»Na gut«, presste sie nach Minuten des Schweigens hervor. »Dann rechnen wir mal.«
Sie nahm den Notizblock, der sonst als Papiergedächtnis für die zu tätigenden Einkäufe diente, von der Pinnwand, die neben der Küchentür hing.
»Ohne den ganzen Scheiß momentan haben Grundstück, Gebäude, Einrichtung, ohne Jahresumsatz, einen Schätzwert von zirka dreieinhalb Millionen. Ziehen wir die laufende Belastung von fünfhunderttausend ab, die ich aus steuerlichen Gründen ständig vor mir herschiebe, bleiben mir drei Millionen. Simonte wird aber die Schätzung auf der Basis der heutigen Auflagen durchführen lassen. Bleiben nur noch zweieinhalb Millionen. Den Imageverlust und dieses ganze Brimborium wird er noch mal mit mindestens der Hälfte des Jahresumsatzes in Anrechnung bringen. Bleiben ... eineinhalb Millionen.«
Sie warf den Bleistift auf den Tisch, dass die Spitze abbrach.
»Prima. So kann man auch Geschäfte machen. Das ist weniger als sein letztes Angebot, und alles auf der Basis einer offiziellen Bewertung. Also kann ihm keiner nachsagen, dass er unfair handelt.«
Sie nahm die Wanderschaft durch die Küche wieder auf, und mein Gehirn suchte fieberhaft nach einer Lösung. Das, was sie mich nannte, hatte ich mich schon selbst geheißen. »Du bist ein Trottel.«
Das Handy riss mich aus meinen dumpfen Betrachtungen und Selbstvorwürfen.
Pater Lutz teilte mir mit, dass das Testament beim Nachlassgericht von Unbekannten abgegeben worden sei.
»Und wo ist Lisa?«, hakte ich ein, bevor er die Verbindung unterbrechen konnte.
»Haben Sie Geduld. Das Mädchen ist jetzt mehr denn je in Gefahr. Außerdem muss ich es schonend auf den Tod seiner Mutter vorbereiten ...«
Meine Laune hellte sich auf, um gleich wieder zusammengestutzt zu werden.
»Dann hast du ja, was du willst«, zischte Margot. »Setz deinen von Leichen und Unheil gepflasterten Weg fort. Aber nicht mehr in diesem Haus. Seitdem du dich in die Interna des Münsterplatzes gehängt hast,bringst du nichts als Unglück. Pack deinen Krempel und verschwinde!«
Obwohl der Rauswurf mein Ego kränkte, musste ich mir eingestehen, dass ich mal wieder auf der ganzen Linie der zwischenmenschlichen Beziehung versagt hatte. Ich versuchte mir in Erinnerung zu rufen, wie alles angefangen hatte. War es vor Tagen oder Wochen gewesen, als ich dem Professor und Otto begegnet war? Mir kam es wie ein ganzes Jahr vor. Die Erinnerungen drohten unter den Ereignissen der letzten Stunden zu verblassen. Und noch ein paar Stunden, dann würde sich mit der Eröffnung des Testaments meine Aufgabe hier erledigt haben. Eine neue Story an einem neuen Ort würde mich für kurze Zeit mit anderen Menschen und deren Schicksalen zusammenbringen. Vielleicht ergab sich doch noch die Möglichkeit, eine Partnerschaft zu bilden, die nicht unter meinem Beruf auseinanderbrach. Ich bezweifelte es. Wenn ich ehrlich war, schloss meine Profession feste Bindungen aus.
Frau Gerster empfing mich gut gelaunt und wohl auch ein bisschen beschwipst.
»Jemine, dass ich so einen berühmten Gast habe! Wissen Sie, in unserer Zeitung steht ja nicht, wer den Artikel verfasst hat. Da haben mich Ihre Kollegen aufgeklärt. Kommen Sie,die sind schon ganz gespannt auf Sie.«
Sie zog mich in den Schankraum. Ich konnte mich nicht erinnern, ihn jemals so voll gesehen zu haben. Ein junger Mann besorgte den Tresen, und zwei Bedienungen wuselten hin und her.
»Trinken Sie erst mal ein schönes Bier und von dem Schnaps, den Sie so gerne mit meinem Mann getrunken haben. Geht aufs Haus. Ich mache Ihnen auch sofort was zu essen. Es gibt Schweinerollbraten mit Speckknödel. Oder möchten Sie lieber Kroketten?«
Sie wies mir den Tisch zu, der sonst der Familie und dem Personal vorbehalten war und von dem aus man den ganzen Raum überblicken konnte.
Sie brachte mir die Getränke und bat die Anwesenden lautstark um Ruhe.
»Meine Damen und Herren. Darf ich Ihnen Ihren Kollegen vorstellen, der den Artikel geschrieben hat und der mir die Ehre gibt, wieder mein Gast zu sein.«
Sie klopfte mir auf die Schulter und verschwand in der Küche.
Ich war vom Regen in die Traufe gekommen. Die Damen und Herren waren allesamt Journalisten verschiedenster Fraktionen, die für sich eine fette Zusatzstory oder zumindest mehr Hintergrundinformationen zu finden hofften.
Mit einem beschaulichen Abend war es vorbei. Eine Heuschreckeninvasion in einem Kornfeld konnte nicht schlimmer sein. Dutzende
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