Im Schatten des Palazzo Farnese
Valhubert würde verrückt werden vor Wut. Er hatte ihn hergeschickt, um die Sache niederzuschlagen, und statt dessen hatte er eine schreckliche Lösung zu Tage gefördert, die sich niemand vorstellen mochte. Sein Eingreifen würde genau den gegenteiligen Effekt dessen auslösen, was man sich in Paris gewünscht hatte. Natürlich war es immer noch möglich, dem Minister den Bericht persönlich zu übergeben. Und niemand würde etwas erfahren. Das sollte er tun. Zu Ruggieri gehen, sich verabschieden, seine Schlußfolgerungen Édouard Valhubert übergeben und den Minister entscheiden lassen, welche weiteren Folgen die Sache haben würde. Das hieße natürlich: keine. Man würdesich einen nicht greifbaren Sündenbock suchen, um ein passendes Ende für die peinliche Geschichte zu finden. Das sollte er tun.
Genau das würde er nicht tun. Er hatte die Wahrheit erzwungen, er würde sie bekannt machen, und niemandem würde es gelingen, ihn umzustimmen. Tatsächlich hatte er große Lust, daß diese Wahrheit bekannt würde, und dafür würde er alles tun.
Er stützte sich mit beiden Händen auf den Tisch und richtete sich mit steifen Knien langsam auf. Er faltete den Bericht zusammen und steckte ihn ins Jackett.
Rasch ging er den Gang entlang, die Hände in den Taschen zu Fäusten geballt. Er sah Tiberius erst im letzten Moment, genau in dem Augenblick, als der junge Mann ihm den Zugang zum Fahrstuhl versperrte.
»Hier geht’s nicht weiter«, sagte Tiberius.
Valence wich zurück. Tiberius wirkte erschöpft und überreizt. Er hatte einen Dreitagebart und schien sich nicht umgezogen zu haben, seitdem Valence ihn zuletzt bei ihm zu Hause gesehen hatte. Auf seiner schwarzen Hose lag der sommerliche Staub Roms, und man hätte meinen können, er habe einiges durchgemacht, ohne zu schlafen oder zu essen. Um die Wahrheit zu sagen, er wirkte sogar recht bedrohlich. Valence sah, wie Tiberius’ Körper sich spannte, um ihm den Durchgang zu verwehren. Diese Entschlossenheit und der Staub auf seiner Kleidung verliehen ihm eine Art romantischer Eleganz, die Valence sehr wohl zu würdigen wußte. Aber Tiberius beeindruckte ihn nicht.
»Geh mir aus dem Weg, Tiberius«, sagte er ruhig.
Tiberius straffte sich, um Valences Bewegung abzuwehren. Mit beiden Händen stützte er sich gegen den metallenen Rahmen der Fahrstuhltür, blockierte die gesamte Breite des Zugangs und federte in den Knien. Er hatte stabile Beine. Staubig, aber stabil.
»Was suchst du, junger Kaiser? Was willst du von mir?«
»Ich will, daß Sie auf der Stelle mit mir reden«, forderte Tiberius klar und deutlich. »Seit vier Tagen nimmt irgend etwas Ernstes in Ihrem granitenen Geist und ihrem verdammten abgeschlossenen Zimmer Gestalt an. Sie kommen hier nicht vorbei, bevor Sie mir nicht gesagt haben, was.«
»Du erteilst mir Befehle? Mir?«
»Sollte Laura etwas zustoßen, werde ich dasein, um es zu verhindern. Besser, Sie wissen das.«
»Du bringst mich zum Lachen. Wie kommst du auf die Idee, es ginge um sie?«
»Weil ich weiß, daß Sie den brennenden Wunsch haben, daß ihr etwas zustößt. Und ich habe den brennenden Wunsch, daß ihr nichts zustößt.«
»Weißt du, daß Madame Valhubert alt genug ist, um ohne dich zurechtzukommen?«
» Ich habe nicht die Absicht, ohne sie zurechtzukommen.«
»Ich verstehe. Und wie kommst du auf die Idee, daß ihr etwas zustoßen wird? Laura Valhubert war in Frankreich, als ihr Mann umgebracht wurde, oder?«
»Zweitausend Kilometer Alibi würden Ihnen kein Hindernis sein, wenn Sie es auf sie abgesehen hätten. Und ich weiß, daß Sie es auf sie abgesehen haben.«
»Man möchte meinen, du wüßtest so einiges, Tiberius. Wer informiert dich?«
»Meine Augen. Ich habe es auf Ihrer Stirn, auf Ihren Lippen, in Ihren Augen gelesen, als Sie von ihr gesprochen haben. Sie werden sie zerstören, weil es sein muß.«
»Laß mich durch, Tiberius.«
»Nein.«
»Laß mich durch.«
»Nein.«
Tiberius war stärker und jünger als er, aber Valence wußte, daß er dennoch die Oberhand gewinnen würde, wenn er sich entschlösse, ihn zu schlagen. Er zögerte. Tiberius hielt seinem Blick stand, er war bereit. Valence hatte keine allzu große Lust, ihn fertigzumachen, solange es eine andere Möglichkeit gab. Er hätte keinerlei Vergnügen daran gehabt, in dieses Gesicht zu schlagen. Und da er beschlossen hatte, seine Ergebnisse entgegen der Weisung des Ministers zu verbreiten, konnte er Tiberius auch gleich davon erzählen. Früher oder
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