Im Schatten meiner Schwester. Roman
»Himmel, Molly, ich habe es den ganzen Tag bei dir probiert. Warum hast du so lange gebraucht, um zurückzurufen?«
»Es war ein bisschen hektisch, Nick.«
»Wie geht es ihr?«
»Sie hält durch.«
»Was heißt das? Ist sie wach? Redet sie? Läuft sie rum? Ist sie stabilisiert worden?«
Molly konnte seine prüfenden blauen Augen spüren. Sie war sich nicht sicher, ob es ihr gefiel, auf dieser Seite des Notizbuchs zu sein. »Sie werden später noch weitere Tests machen.«
»War es denn ein Herzinfarkt?«
»Sie versuchen, genau herauszufinden, was los ist.«
»Aber das ursprüngliche Problem – eindeutig das Herz? Hatte sie schon vorher Probleme mit dem Herzen? Ist es ein strukturelles Problem, zum Beispiel eine Klappe oder ein Loch? Kann es repariert werden?«
Molly wurde es unbehaglich zumute. »Ist das für einen Artikel?«
»Molly«, protestierte er und klang verletzt. »Es ist für mich. Ich habe mich schließlich ein paarmal mit ihr getroffen. Außerdem ist ihre Schwester meine Freundin.«
Molly war pflichtschuldig reuevoll. »Tut mir leid. Du klingst nur so wie ein typischer Reporter.« Und dann war da noch die Sache mit Andreas Welker und einem Drogentest, etwas, was Robin ihm vertraulich erzählt und was dann in der Zeitung gestanden hatte. Nick schwor, dass er die Information auch noch aus einer anderen Quelle bekommen habe, aber weder Robin noch Kathryn hatten ihm das ganz abgekauft. Glaub nicht, was er sagt, hatte Robin Molly mehr als einmal gewarnt, und für den Fall, dass sie es vergessen könnte, wiederholte Kathryn die Warnung öfter. Doch Molly mochte Nick. Er war interessant, und er kam rum. Dass er Molly genügend mochte, um ihr Freund zu sein, selbst nachdem ihre Schwester ihn hatte sitzenlassen, schmeichelte ihr.
»Nein,
mir
tut es leid«, sagte er nun in versöhnlichem Ton. »Wenn du mich gestern Abend angerufen hättest, würden wir dieses Gespräch nicht führen. Als du heute Morgen nicht zurückgerufen hast, habe ich angefangen, andere Leute anzurufen. Das ist eine Berufskrankheit.«
»Genau das macht mir Angst. Nick, ich brauche deine Hilfe. Kannst du das aus der Zeitung raushalten?«
Es gab eine kurze Pause, dann ein erstauntes: »Wie kann ich das tun? Es ist eine Nachricht.«
»Du hast Einfluss, du kannst sie dazu bringen, sie zurückzuhalten. Je mehr Menschen davon hören, desto mehr rufen uns an, und wir können erst reden, wenn wir mehr wissen.«
»Was wisst ihr bis jetzt?«
Molly hatte auf ein Versprechen gehofft. Enttäuscht antwortete sie nicht.
»Sind wir Freunde?«, fragte er leise. »Freunde vertrauen einander.«
Freunde rufen auch ruhig noch einmal mehr an, bevor sie andere Leute anrufen, dachte Molly. Natürlich war sie hypersensibel.
Doch sie war nicht blöd. »Es geht darum, dass meine Familie ihre Privatsphäre braucht«, erklärte sie. »Und ganz ehrlich, es gibt nicht viel zu erzählen. Robin hatte eine Herzsache, doch ihre Vitalfunktionen sind gut.« Es war genau genommen keine Lüge.
»Ist ›Herzsache‹ dasselbe wie Herzinfarkt?«
»Im Moment sind das nur Worte. Ich bin ziemlich erschüttert. Das sind wir alle. Ich habe dir das erzählt, was wir sicher wissen.« Auch nicht ganz gelogen.
»Okay. Das ist okay. Rufst du mich an, wenn du mehr erfahren hast?«
Sie sagte ihm das zu, beendete den Anruf aber mit einem unguten Gefühl. Es dauerte eine Minute, bevor sie das Gefühl benennen konnte. Trotz all seiner Fragen hatte er nicht wissen wollen, wie es ihr bei alldem ging. Freunde, die behaupteten, gute Freunde zu sein, taten das.
Sie sagte sich, er habe das einfach übergangen – dass er wusste, dass sie erregt war, so dass er nicht zu fragen brauchte –, klappte ihr Handy zu und begab sich wieder in die Halle. Sie war schon fast bei Robins Tür, als ihr Vater erschien. Er zog sein Handy aus der Tasche. »Deine Mom hat dem EEG zugestimmt. Willst du bei ihr bleiben, während ich Chris anrufe?«
Das EEG wurde erst am frühen Abend gemacht, weil es da dem Neurologen passte, der dabei sein wollte, um die Ergebnisse auszuwerten. Der Apparat wurde in Robins Zimmer gebracht. Da für eine möglichst genaue Aufzeichnung Ruhe erforderlich war, war Kathryn das einzige Familienmitglied, das bleiben durfte.
Sie war dankbar, dass die Schwestern ihr Bedürfnis spürten, dabei zu sein, doch wenn sie gehofft hatte, Robin Glück zu bringen, so funktionierte das nicht. Innerlich feuerte sie sie an. Sie wiederholte jeden motivierenden Gedanken, der Robin in
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