Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Im Schatten meiner Schwester. Roman

Titel: Im Schatten meiner Schwester. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Delinsky
Vom Netzwerk:
gestattete sich, das Wort hier bei ihrer Großmutter zu denken, und ihr wurde übel.
    »Robin?« Stirnrunzeln. »Ich kenne eine Robin. Ihre Mutter hat ihr den Namen wegen des Ausdrucks gegeben.«
    »Welcher Ausdruck?«
    »Sie wissen schon«, antwortete Marjorie mit einer Andeutung von Gereiztheit. »Der Ausdruck – darüber, dass der frühe Vogel das Schmalz fängt.«
    Molly verbesserte sie nicht. »Was hat das mit Robin zu tun?«
    »Ein Robin ist ein Vogel, ein Rotkehlchen. Sie kommen früh.«
    Sie gehen auch früh, dachte Molly und war plötzlich dankbar dafür, dass ihre Großmutter den Kontakt zur Wirklichkeit verloren hatte. Sie würde das Wort hirntot nicht denken müssen, würde den Schmerz nicht fühlen müssen, wenn sie erführe, was mit Robin geschah. Sie empfand nicht mal Schmerz über ihren eigenen Zustand, auch wenn es nicht immer so gewesen war. Am Anfang hatte Nana gewusst, was passierte. Ihr Verhalten war wirr geworden, doch als sie die Diagnose erfuhr, war sie noch wach genug gewesen, um sich aufzuregen. In mancher Hinsicht war die Geschwindigkeit, mit der sich ihre Krankheit entwickelte, ein Segen. Sie war auf der Beerdigung ihres Mannes gewesen, ohne ganz zu verstehen, wer eigentlich gestorben war.
    Achtundsiebzig war nicht alt für eine Frau in ausgezeichnetem körperlichem Zustand. Wäre ihr Geist nicht gewesen, könnte sie hundert Jahre alt werden. Vielleicht würde sie das ja auch. Es wäre grausam, wenn Nana so viele ahnungslose Jahre leben müsste, befand Molly – aber nicht annähernd so grausam wie das, was mit der zweiunddreißigjährigen Robin passierte.
    Molly fragte sich, ob Robin draußen auf der Straße gewusst hatte, was mit ihr geschah. Der Gedanke, dass ihre Schwester einen Schmerz in ihrer Brust empfunden, gespürt hatte, was es war, und erkannt hatte, dass sie ganz allein war, ließ Molly erschauern. Schlimmer jedoch war der Zusammenbruch gewesen, der vielleicht darauf gefolgt war – Lichter, die ausgingen, alles schwarz. Hirntot. Es war zu viel.
    Sie brauchte das freundliche Herz ihrer Großmutter und sagte: »Ich bin so ein schlechter Mensch. Ich habe meine Schwester verjagt, und jetzt stirbt sie.«
    Marjorie legte den Kopf schief. »Sie erinnern mich an jemanden.«
    »Meine Schuld, Nana, und es war nicht nur Montag so. Es gab Zeiten, da habe ich absichtlich ihre Rennen versäumt. Manchmal habe ich tatsächlich gehofft, sie möge verlieren. Wird also jetzt mein Wunsch Wirklichkeit?«
    Marjorie wirkte nachdenklich. Schließlich fragte sie neugierig: »Kennen wir uns?«
    »Und mit Nick«, fuhr Molly fort. »Ich ärgere sie gerne, indem ich mit ihm befreundet bleibe. Wenn ich eine loyale Schwester wäre, ließe ich das sein. Also bin ich nicht loyal, und Mom wird mir niemals verzeihen, auch wenn ich mir in der Gärtnerei den Arsch aufreiße. Ich meine, ich liebe meine Arbeit. Aber ich weiß auch gerne, dass es etwas ist, was Mom auch mag.«
    Marjorie legte wieder den Kopf schief. Sie lauschte.
    »Geht es also nur um Mom?«, fragte Molly. »Bin ich ihre Tochter und sonst nichts? Meine Freunde können nicht glauben, dass ich gleich wieder ins Familienunternehmen gegangen bin. Sie finden, ich sollte woanders hingehen, und manchmal will ich das auch. Ich habe mich woanders beworben, Nana. Ich hatte ein Angebot von einer Großgärtnerei in der Nähe von Boston – erst letzte Woche –, aber ich habe abgesagt. Ich liebe Snow Hill. Mom ist so schlau.« Marjorie hatte angefangen die Stirn zu runzeln, deshalb fügte Molly hinzu: »Erzähl ihr nichts von dem Jobangebot. Sie bringt mich um, wenn sie es erfährt. Es war unloyal von mir, auch nur darüber nachzudenken. Hier bin ich also und sorge mich wieder wegen ihr. Geht es alles um Mom? Wer bin ich?«
    »Nun ja … na ja … ich bin nicht sicher«, antwortete Marjorie.
    Molly wusste, es war lächerlich, über Identität mit einer Frau zu sprechen, die ihre eigene verloren hatte, doch sie konnte einfach nicht aufhören. »Ich bin in einer Minute dieser Mensch und in der nächsten ein anderer. Ich liebe meine Schwester, ich hasse meine Schwester, ich liebe meine Mutter, ich hasse meine Mutter. Ich liebe Snow Hill, ich hasse Snow Hill. Wer bin ich?«
    Marjorie wirkte erregt. »Kennen wir uns?«
    »Nana, ich bin es, Molly«, flehte sie, »und ich weiß nicht, wie ich Mom helfen soll. Du musst mir sagen, was ich tun soll.«
    Marjories Stirnrunzeln vertiefte sich. »Sie wissen es nicht?«
    »Ich sage immer das Falsche.«
    »Aber Sie

Weitere Kostenlose Bücher