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Im Schatten von Notre Dame

Titel: Im Schatten von Notre Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Kastner
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nicht genug ins Auge, trug er um die Hüften eine breite Schärpe aus scharlachfarbe-nem Samt, aus der die Griffe mehrerer Waffen ragten.
    Mathias Hungadi Spicali, der Herzog von Ägypten und Böhmen, blieb mit verschränkten Armen vor seinen Männern stehen, ließ seinen Blick über die Denkmaschine und über die vier Verteidiger gleiten und verkündete mit seiner so gar nicht passenden Fistelstimme: »Ihr seid gute Kämpfer, habt vielen meiner Männer Blut und Leben genommen. Ich hätte allen Grund, euch in Stücke schneiden zu lassen. Aber ich achte die Tapferkeit. Ihr sollt leben, wenn ihr euch ergebt.«
    Mehrere mit Glitzerwerk verzierte Männer betraten den Raum, die Grafen des Zigeunerherzogs. Sie berichteten, daß die unterirdische Festung genommen, der Widerstand überall gebrochen sei. Auf ihre genauen Worte achtete ich sowenig wie auf die Männer selbst. Ich war gefangen vom Zauber ihrer schönen Begleiterin, der wundervollen Tänzerin Esmeralda.
    Wie sie in ihrer malerischen Schönheit zwischen den reglos daliegen-den Toten und den stöhnenden Verwundeten stand, schien es mir keinen größeren Gegensatz zu geben. Die Zigeunerin war von dem blutigen Bild nicht angewidert, bewegte sich vollkommen natürlich auf dem Schlachtfeld, als sei sie solchen Anblick gewohnt. Aufmerksam sah sie sich um und sandte ihren suchenden Blick bis in die hintersten Winkel des düsteren Raums.
    »Was ist mit euch, tapfere Gadschos?« fragte der Zigeunerherzog.
    »Senkt ihr eure Klingen, oder sollen wir unsere in euren Herzen ver-senken?«
    »Wenn wir kämpfen, nehmen wir noch ein paar von euch mit«, erwiderte Leonardo. »Ergeben wir uns aber, könnt ihr uns jederzeit nach Belieben abschlachten. Deshalb schlage ich Verhandlungen über einen Waffenstillstand vor.«
    »Ihr wollt verhandeln?« Mathias Hungadi Spicali stieß ein lautes Lachen aus, und viele seiner Männer fielen darin ein. »Ja, was wollt ihr uns denn anbieten?«
    »Euer Leben«, antwortete Leonardo vollkommen ruhig.
    »Oh, wie gnädig.« Plötzlich verschwand jede Heiterkeit aus den faltigen Zügen des Herzogs. »Ihr seid in unserer Hand, und euer Hochmut zeugt nicht von Klugheit. Wenn ihr den Kampf wollt, sollt ihr ihn haben. Am Ende wird der Tod stehen – für euch!«
    Eben noch hatte ich Hoffnung geschöpft für meinen Vater, jetzt überfiel mich neuer Schrecken. Machte ich deshalb eine unbedachte, heftige Bewegung? Irgendwie setzte ich den Mechanismus der Denkmaschine in Gang. Das Geratter und Gerumpel ließ die meisten der erschrockenen Zigeuner einige Schritte zurückweichen. Nur Mathias, die Grafen und la Esmeralda blieben stehen.
    Die Maschine lief nicht richtig, weil ich in ihrem Getriebe steckte.
    Ich spürte das Zittern ihrer Glieder, ähnlich der Wut und Erregung eines Lebewesens. Die Metallscheiben hatten sich nur kurz gedreht, doch die Behinderung ihres Antriebs hielt sie auf. Da spürte ich einen heftigen Schlag gegen die Schulter, eine Eisenstange hatte sich gelöst und mich getroffen. Ich wurde zur Seite geworfen, fiel von der Maschine und riß ein paar Zigeuner aus der Gruppe um den Herzog zu Boden. Zum Glück kam ich auf ihnen zu liegen und hatte so wenigstens eine weiche Landung.
    Die meisten rappelten sich schnell wieder auf, nicht so la Esmeralda. Ich hockte auf ihr und hielt sie durch mein Gewicht am Boden fest.
    Die Maschine schien froh, den Störenfried los zu sein; ihre Räder kamen nach und nach zum Stillstand. In das abebbende Ächzen des Getriebes fiel der Ruf des aufgebrachten Herzogs: »Gebt acht, der Kerl hat la Esmeralda in seiner Gewalt. Ihr darf nichts geschehen!«
    Jetzt erst erfasste ich, daß ich nicht nur auf einer wunderschönen jungen Frau saß, sondern zugleich auf einem Schatz. Auch wenn ich es nicht gern tat, ich drückte meine Dolchklinge gegen ihren Hals und rief den mich einkreisenden Zigeunern entgegen: »Keinen Schritt weiter, oder la Esmeralda stirbt!«
    Eine mächtigere Drohung hätte ich nicht aussprechen können. Augenblicklich erstarrten die Buntgekleideten wie Lots Frau bei der Flucht aus Sodom. In den Augen des Herzogs, die ebenso dunkel waren wie die des unter meiner Last schwer atmenden Mädchens und die eben noch Überlegenheit und Siegesgewißheit ausgestrahlt hatten, las ich nun Angst, mehr noch, blankes Entsetzen.
    »Ergreift den Zigeunerherzog!« rief ich. »Nehmt ihn als Pfand!«
    Leonardo ermannte sich zuerst. Er sprang vor, riß Mathias an sich und drückte die Degenspitze gegen seinen Hals. Ich

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