Im Schattenreich des Dr. Mubase
die
Lagerhallen-Straße, die sich weder zum Bummeln noch zum Einkaufen eignet. Die
Gegend ist häßlich und laut. Wohnblöcke und Siedlungshäuser prägen das Bild.
Vom Bahnhof weht Ruß herüber. Weil die Schienen sehr nah sind, bebt manchmal
der Boden. Der einzige Vorteil der Lagerhallen-Straße sind die niedrigen
Mieten.
Die TKKG-Bande sah nach im Telefonbuch,
denn Clarissa Hoppe hatte ein Telefon. Ihre Adresse stand drin: Nr. 64.
Vor Nr. 58 machte die TKKG-Bande Halt.
„Das braune Haus dort hinten“, sagte
Tim und äugte zu dem drittnächsten Gebäude auf der linken Seite.
„Es ist gelb“, sagte Karl. „An einigen
Stellen erkennt man es noch. Gebräunt hat’s der Ruß.“
„Den Dreck atmen die hier Tag und Nacht
ein.“
„Manche haben es besser“, sagte Karl, „die
arbeiten tagsüber in Chemiefabriken oder Auto-Wasch-Straßen.“
„Da ist doch die Luft noch viel
schlechter“, rief Klößchen. „Rein wär’ sie nur, wenn alle in einem Solar-Mobil
fahren würden. Mit Sonnenenergie, dann stinkt’s nicht.“
„Pfui, Karl!“ meinte Gaby. „Über so was
spottet man nicht. Jeder Mensch sollte ein Anrecht haben auf seine Gesundheit.
Dazu gehören saubere Luft, sauberes Wasser, giftfreie Nahrungsmittel und ein
Arbeitsplatz, der nicht krank macht.“
„Also Oberförster in Neukaledonien (Insel
bei Australien). Aber die haben auch schon ihre Umweltprobleme.“
Ein Lkw rumpelte vorbei.
Nur knapp konnte der Motorradfahrer
ausweichen, der jetzt vor Nr. 64 hielt, einem schachtelartigen Doppelhaus mit
zwei Eingängen.
Tim sah genau hin. Die windschnittige
Maschine — ein japanisches Fabrikat — war verkleidet und rotlackiert. Der
Fahrer trug Jeans, lederne Motorradjacke und einen roten Helm.
Der Mann stieg ab wie ein Cowboy vom
Pferd, ging zum Haus Nr. 64, und zwar zum ersten Eingang des Doppelhauses,
glotzte auf die Namensschilder und klingelte.
Im Obergeschoß wurde ein Fenster
geöffnet. Clarissa Hoppe blickte herunter.
„Lothar ist es nicht“, sagte Tim. „Das
erkenne ich trotz des Helms. Immerhin könnte der Typ ihn mal abnehmen.“
Als hätte er’s gehört, entblößte der
Kradfahrer seinen Kopf und blieb wartend an der Tür stehen, während Clarissa
das Fenster schloß.
„Besuch für Lothars Freundin“, sagte
Karl. „Wer das wohl ist?“
Der Mann mochte Anfang 30 sein, war
stabil gebaut und stellte beim Gehen die Ellbogen aus, als könnte er vor Kraft
nicht laufen. Der runde Schädel saß auf einem derben Hals und wurde gekrönt von
einem Bürstenschnitt — fast schwarz. Schwarz und dick waren auch die Brauen.
„Wir warten noch“, sagte Tim. „Glotzt
nicht so hin.“ Clarissa ließ den Typ ein. Aber der Besuch dauerte nur zwei
Minuten. Der Mann kam heraus. Clarissa schloß gleich die Tür hinter ihm. Er
stülpte sich den Helm auf die Rübe, bestieg seinen Feuerstuhl und donnerte ab —
die Straße hinunter.
„Merkst du dir die Zulassungsnummer,
Karl?“ sagte Tim. „Ist schon gespeichert. Ich glaube, es ist eine der
Land-Nummern. Die der Stadt liegen weiter vorn im Alphabet.“
„Vielleicht war’s ein Fixer“, meinte
Klößchen. „Und Clarissa Hoppe ist Lothars Verkaufsadresse.“
„Durchaus möglich“, sagte Tim. „Vielleicht
bin ich ungerecht. Aber ich kann die Dame nicht leiden, trotz ihrer
Sopranstimme. Im Schulchor singt sie ohnehin so laut, daß man die andern kaum
hört. Doch das macht Fräulein Clarissa nur bei den Aufführungen. Während der
Proben nimmt sie ihre Stimmbänder einen halben Meter zurück. Der Chorleiter
weiß trotzdem Bescheid und ermahnt sie jedesmal. Vergebens. Sie will
hervorstechen, egal, ob das Stück eine Solo-Stimme verträgt. Ist typisch für
Clarissas Charakter. Insofern paßt sie zu Lothar. So, fragen wir sie mal.“
Es war jetzt später Nachmittag. Am Ende
der Straße, die offenbar genau nach Westen wies, balancierte die Sonne auf dem
Dachfirst eines niedrigen Gebäudes. Nur noch wenige Augenblicke — und
schmutziges Abend-Grau würde sich zwischen den Häuserzeilen ausbreiten.
Die TKKG-Bande fuhr zu Nr. 64.
Tim trat an die Eingangstür.
Die schmale Haushälfte wurde von zwei
Parteien bewohnt. Die untere Klingel hätte Amelie Pechnatzki aufgeschreckt, die
obere verständigte Clarissa Hoppe.
Die Mauern waren dünn. Tim hörte das
Läuten.
Wieder — nach einer knappen Minute — wurde
oben ein Fenster geöffnet.
„Ich glaube, du kennst uns vom Sehen“,
sagte Tim zu der 18jährigen hinauf. „Wir sind auf derselben
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