Im Sog der Angst
verflixter verwichster Mann kapiert es einfach nicht. Er hätte es nicht tun sollen, ohne mich zu fragen! Da gab es Dinge, die ich aufheben wollte.« Ihr Gesicht hellte sich auf. »Ist alles da draußen - in der Gasse? Im Müllcontainer?«
»Tut mir Leid, Ma’am«, erwiderte Milo. »Ihr Müllcontainer ist leer.«
»Der Mistkerl«, sagte sie. »Dafür sollte er … Es war falsch. Wen kümmert schon, wo er ist? Wen zum Teufel kümmert das?«
»Hat er angerufen?«
»Er hat gestern Abend eine Nachricht auf Band gesprochen. Ich hab geschlafen. Ich schlafe eine Menge. Ich hab sie gelöscht. Was soll er mir schon erzählen? Dass er mich vermisst? Ich weiß, dass er mit einer Hure zusammen ist. Wenn er unterwegs ist, ist er immer mit Huren zusammen. Wissen Sie, woher ich das weiß?«
»Woher, Ma’am?«
»Kondome«, sagte sie. »Ich finde Kondome in seinem Gepäck. Er lässt es mich auspacken, lässt sie drin liegen, er will, dass ich es erfahre.« Sie lächelte bitter. »Stört mich nicht - macht mich … glücklich.«
»Dass er zu Prostituierten geht?«
»Klar«, sagte sie. »Besser sie als ich.« Wir flößten ihr noch etwas Kaffee ein, aber ihre Stimme blieb träge. Ich fragte mich, wie lange sie gebraucht hatte, um die Ginflasche so gut wie leer zu trinken.
Sie gähnte. »Ich muss ein bisschen schlafen.«
»Gewiss, Ma’am«, sagte Milo. »Nur noch ein paar Fragen, bitte.«
»Bitte?« Sie löste den Handtuchturban und warf ihn auf den Boden. »Okay, weil Sie bitte gesagt haben.«
»Wer hat Sie an Dr. Koppel verwiesen?«
»Dr. Silver.«
»Ihr Gynäkologe?«
Sie schloss die Augen, ihr Kopf fiel nach vorne und verharrte an seinem Platz.
»Ich bin müde.«
»Dr. Barry Silver?«, sagte Milo. »Ihr Gynäkologe?«
»Hmh-mhm.«
»Hat Dr. Silver Ihnen die Empfehlung persönlich gegeben?«
»Er hat sie Jerry gegeben, Jerry hat ihn angerufen. Jerry sagte, er wäre klug - kann ich jetzt bitte schlafen gehen?«
»Noch eine Sache, Ma’am. Gavins Zimmer ist ausgeräumt worden, aber ich habe gesehen, dass seine Kleidung noch in seinem Schrank ist.«
»Jerry wollte die wahrscheinlich auch mitnehmen und weggeben. Die wirklich hübschen Hemden von Ralph Lauren, die ich Gav zu Weinachten geschenkt habe. Gav ist schrecklich gern mit mir einkaufen gegangen, weil Jerry so geizig ist. Wir sind in alle Läden gegangen. Gap, Banana Republic, Saks … Barneys. Manchmal sind wir zum Schlussverkauf zum Rodeo Drive gegangen. Ich hab Gav ein Sportsakko von Valentino am Rodeo gekauft, es ist besser als alles, was Jerry hat. Jerry würde wahrscheinisch Gavs Sachen weggegeben haben, aber er hatte keine Zeit.« Ihre Hände ballten sich zu Fäusten. »Jerry kann mich am Arsch lecken, wenn er glaubt, dass ich Gavs Kleidung aufgebe.«
Wir halfen ihr die Treppe hoch und in ihr Schlafzimmer, in dem es dank der zugezogenen Vorhänge bereits Nacht war. Zerknüllte Papiertaschentücher, eine Schlafmaske und zwei kleine Schnapsflaschen von Fluggesellschaften auf dem Nachttisch. Bourbon und Scotch. Ein Zentimeter Wasser stand in einem Highball-Glas aus Kristall.
Milo zog ihr die Decke bis ans Kinn, und sie lächelte zu ihm hoch und sagte: »Gute Nacht.«
»Eine Frage noch, Ma’am. Wer ist der Steuerberater Ihres Mannes?«
»Gene Marr. Mit einem H.«
»Maher?«, fragte Milo.
Sie wollte antworten, gab es auf und schloss die Augen.
Als wir aus dem Zimmer gingen, schnarchte sie.
Bevor wir das Haus verließen, brachte Milo mich in Gavins Zimmer. Dieselben hellblauen Wände, nackt. Das Bett mit einem dunkelblauen Deckbett bezogen. In Gavins Bücherregal befanden sich ein paar Taschenbücher und Zeitschriften und zwei Modellflugzeuge. Der Teppichboden war schmuddelig.
Der Wandschrank war mit Jacketts, Hosen, Hemden und Mänteln gefüllt.
»Nette Garderobe«, sagte ich. »Jerry hat die Unterlagen nicht zum Müll rausgebracht. Er hat dafür gesorgt, dass niemand sie sieht.«
Milo nickte und zeigte zur Treppe.
Als wir abfuhren, sagte er: »Der Mistkerl weiß, warum sein Sohn getötet wurde, und versucht es unter den Teppich zu kehren.«
Er fand die Nummer von Quicks Büro in seinen Notizen, tippte sie in sein Mobiltelefon ein, wartete und klappte es wieder zu. »Nicht mal ein Anrufbeantworter.«
»Er geht auf Geschäftsreise und gibt Angie, der Sekretärin mit den blauen Fingernägeln, frei.«
»Angie mit dem kleinen, aber eindeutigen Vorstrafenregister. Quick macht allmählich noch einen anderen Eindruck als den eines trauernden
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