Im Sommer der Sturme
fieberheiß in seinen Armen und zitterte, sobald kühle Luft unter die Decke geriet. Sie klammerte sich an ihn und liebkoste seine Brust. Sie genoss die Wärme seines Körpers, der neben ihr augestreckt lag, und seine starken Arme, die sie umfasst hielten. Während er sie aufs Haar küsste, glitt seine Hand über ihren Kopf, ihre Schultern und ihren Rücken. Glücklich schloss sie die Augen. Gibt es eine bessere Art, diese Welt zu verlassen? , fragte sie sich, ein Dankgebet auf den Lippen. Und dann sanken sie in friedvollen Schlummer, aus dem Colette nicht mehr erwachte.
8
Sonntag, 9. April 1837
An einem strahlend hellen Frühlingstag bettete man Colette Duvoisin unter einem kristallblauen Himmel zur letzten Ruhe. Als die Sonne im Zenith stand, verließ eine lange Reihe trauernder Menschen die Kapelle und begab sich in nördlicher Richtung zum privaten Friedhof des Besitzes, der nur aus einem wilden Stück Land voller Brombeerranken, wilder Blumen und aufrecht stehender, himmelwärts weisender Grabsteine bestand. Dort hielt die Prozession inne und machte den Sargträgern Platz, die ihre federleichte Last auf dem Gestrüpp aus wilden Rosen absetzten. Anschließend schloss sich der Kreis um den Sarg, sodass die Trauernden aus der Anwesenheit der anderen Trost schöpfen konnten, während sie auf die Grabrede warteten.
Angesichts des überwältigenden Verlusts verspürten die Trauernden den Hauch der Unendlichkeit, die größer war als der Tod. Den gestrigen Tag hatten alle in einem Zustand der Benommenheit verbracht, doch heute führte ihnen der Himmel die unfassbare Wahrheit in strahlend hellem Licht vor Augen: Colette Duvoisin war tot, und nichts und niemand, keine Gebete und keine Träume, würden sie jemals wieder ins Leben zurückbringen. Sie war für immer fortgegangen, und es würden noch viele Wochen ins Land gehen, bevor der Schmerz ein wenig nachließ.
Die Zwillinge waren ungewöhnlich still. Ihre blauen Augen waren trocken. Doch Charmaine wusste genau, dass die stoische Ruhe der Mädchen über die Qualen hinwegtäuschte, die insgeheim an ihren Herzen nagten. Gestern noch waren sie ständig in Tränen ausgebrochen, und der arme Pierre, der viel zu klein war, um die Tragweite des Geschehens zu erfassen, hatte mitgeweint, weil seine Schwestern so traurig waren. Heute war Rose mit ihm zu Hause geblieben, denn ein Friedhof war nicht der richtige Ort für einen Dreijährigen. Aber Colettes Töchter hatte nichts davon abhalten können, ihrer geliebten Mutter das letzte Geleit zu geben. Kerzengerade hatten sie während der Messe auf ihren Plätzen ausgeharrt, und nun folgten sie dem Trauerzug zum Friedhof. Sie sahen weder nach rechts oder links und hielten den Blick starr auf den Sarg ihrer Mutter gerichtet. Angesichts des ungeheuerlichen Verlusts ächzte Charmaines Herz vor Mitgefühl, und das umso mehr, als sie die beiden nicht wirklich trösten konnte.
Sie dachte wieder an Jeannettes unschuldige Frage, als man ihnen die schreckliche Nachricht überbracht hatte. »Was ist bloß aus unserem Wunder geworden, Mademoiselle?«
»Ich weiß, was geschehen ist«, hatte sich Yvette empört. »Gott hat nur so getan, als ob er unsere Gebete er hört hätte. Ich werde nie wieder zu ihm beten. Und zu St. Jude auch nicht.«
»Das meinst du doch nicht wirklich.« Charmaine hatte das Mädchen trösten wollen. »Es ist nur der Schmerz, der dich so sprechen lässt.«
»Nein! Ich meine es ganz genau so!« Voller Wut war Yvette in Tränen ausgebrochen.
Vergeblich hatte Charmaine nach tröstenden Worten gesucht und sogar versucht, sich an Father Michael Andrews Trauerrede bei der Beerdigung ihrer Mutter zu erinnern. Aber umsonst. Entweder war ihr Kummer damals zu groß gewesen, um den Trost zu erfassen, oder aber Father Michael Andrews Gewissensbisse waren zu groß gewesen, um diesen Trost den Anwesenden mitzuteilen. Sie hatte Yvette in die Arme genommen, ihr übers Haar gestreichelt und gewartet, bis sie sich ausgeweint hatte und völlig erschöpft war. Anschließend war Jeannette in Tränen ausgebrochen, und so hatten sie den Tag in wechselnder Verzweiflung hinter sich gebracht.
Und heute nun, am Rand des Grabes, spürte Charmaine wieder die Hoffnungslosigkeit, die sie nach dem Tod ihrer Mutter erfasst hatte. Sie war damals älter gewesen als die Zwillinge. Fast schon erwachsen. Im Vergleich zu ihr waren Yvette und Jeannette noch entsetzlich jung. Wie sollten sie nur mit diesem Verlust zurechtkommen? Und dann dachte
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