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Im Sommer der Sturme

Im Sommer der Sturme

Titel: Im Sommer der Sturme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gantt DeVa
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vertraut. Sie lächelte. Beim letzten Mal hatte sie nur einen einzigen Fehler gemacht, und nun erblühte die Rhapsodie unter ihren Fingern in all der Schönheit und Fülle einer Knospe, die sich der Sonne öffnet.
    Obgleich die dissonanten Töne des zweiten Themas der perfekten Harmonie des ersten Teils zuwiderliefen, waren beide Tonfolgen eng ineinander verwoben: Wie ein Liebespaar, das gemeinsam dem Höhepunkt entgegenstrebt, sich entlang einer Tonleiter aufbaute, bis es in einem furiosen Arpeggio explodierte, bevor es in sich zusammensank. Nach drei Takten der Stille antwortete eine einsame Folge von Tönen dem wilden Chaos und brachte das Stück zu seinem Ende – einem verzweifelten, verlorenen und hoffnungslosen Ende …
    Der Abend war viel zu warm, und die Luft drohte, sie zu ersticken. Colette fürchtete nichts mehr als dieses Erstickungsgefühl. Sie verließ das Bett und ging barfuß zu den französischen Türen hinüber und öffnete sie. Mit geschlossenen Augen stand sie da und spürte, wie der frische Märzwind über ihr Gesicht strich, ihr das goldene Haar von den Schultern wehte … und hoffentlich auch ihren Kopf von allen belastenden Gedanken befreite.
    Dies ist nur ein kleiner Rückfall , sagte sie sich. Es stimmte, ihr Kopf pochte, ihre Kehle wurde von Nadelstichen malträtiert, und ihre Brust war eng. Aber gleich eine ernste Entzündung der Lunge? Nein, widersprach sie. Sie war nicht krank, obgleich Agatha Ward und Robert Blackford das jeden glauben machen wollten. Und dennoch … Nach zwei Tagen mit Husten und Fieber hatte sie heute am Nachmittag ihren Willen zum Widerstand eingebüßt und sich Roberts heimtückischem Serum und Agathas ständiger Mahnung nach Bettruhe ergeben.
    Das lag jetzt einige Stunden zurück. Heute Nacht war das Haus ungewöhnlich still. Tief atmete sie die belebende Nachtluft ein, bis ein heftiger Windstoß sie mit voller Wucht traf und erschauern ließ. Rasch wickelte sie sich fester in ihre Samtrobe und schloss die Balkontüren, doch sofort war das erstickende Gefühl wieder da.
    Eigentlich sollte sie sich hinlegen. Nein! Nicht wieder in dieses zerwühlte Bett, wo sie drei Tage lang gelegen hatte. Stattdessen tasteten ihre Füße nach den Schuhen. Sie wollte nach den Kindern sehen.
    Sie befand sich gerade gegenüber der Treppe, als sie es zum ersten Mal hörte – Töne aus lang vergangenen Tagen, dennoch so frisch im Gedächtnis … Gleich darauf waren sie verstummt, und ein Gefühl der Enttäuschung blieb zurück. Sie hatte sie nicht wirklich gehört, dachte sie. Ihr benebelter Kopf hatte sie genarrt. Sie hätte sich nicht der Nachtluft aussetzen sollen. Die Erschöpfung forderte ihren Tribut. Sollte sie lieber in ihre Räume zurückkehren? Nein, das war unsinnig. Nachdem sie schon so weit gekommen war, wollte sie ihre Kinder auch sehen. Wenn sie sich nur einen Augenblick der Ruhe gönnte, würde es schon gehen. Na also, sie fühlte sich schon besser.
    Die Kinder schliefen tief und fest. Dank Charmaine wurden sie auch in ihrer Abwesenheit bestens betreut. Sie küsste jedes der Kinder auf die Stirn und zog die Decken zurecht. Zufrieden schlich sie schließlich auf Zehenspitzen hinaus.
    Das gesamte Haus war in Schweigen versunken, doch als sie den Korridor überquerte, waren die vertrauten Töne mit einem Mal wieder da. Sie trafen sie genau oben an der Treppe, lockten sie und zerrten an ihrer Seele. Ja, jetzt waren sie lauter. Kein bitterer Nachgeschmack der Enttäuschung. Sie hörte sie wirklich! Sie musste es nur bis hinunter in den Wohnraum schaffen. Ihr Herz klopfte voller Sehnsucht, die Rhapsodie umfing sie, spottete ihrer Unruhe und verlangte nur eines: Komm!
    Charmaine spielte und spielte und ergab sich der Macht der Töne. Kein Poet konnte bessere Worte für den tiefen Kummer finden, der diesem Meisterstück innewohnte. Sie war nur das Medium, das den Schmerz lebendig werden ließ und als Gefangene dieser Töne erst jetzt begriff, dass viel mehr darin lag als nur die Musik. Sehr viel mehr. Fehlerfrei glitten ihre Hände über die Tasten, und ihre Finger belebten das unbekannte Land. Die Komposition verschlang sie, um ihre bedauernswerte Lage aufzuzeigen: Scharaden, die Wahrheiten verbargen, Ungerechtigkeiten, die die Lebenden heimsuchten, und Entscheidungen, die noch längst nicht getroffen waren … Charmaine hatte all das am eigenen Leib erlebt und wollte nur weinen.
    Als die Tür aufflog, schrak sie zusammen, und ihre Hände misshandelten die Tasten.

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