Im Sommer der Sturme
sie, was zu tun war.
Sie nahm die Feder zur Hand und begann zu schreiben, was ihr Herz ihr diktierte. Mehr als nur einmal tropften Tränen auf das Papier, die sie mit der Hand wegwischte. Die Tränen gehörten der Vergangenheit an, und das Lächeln war die Zukunft. Sie dachte nur noch an das Lä cheln.
Sie war so tief in Gedanken versunken, dass sie gar nicht hörte, wie die Tür geöffnet wurde.
»Warum bist du nicht im Bett, Colette?«
Sie zuckte zusammen und hätte beinahe die Tinte umgeworfen, als ihre Hand zum Mund fuhr. »Frederic«, keuchte sie, »was tust du hier?« Hat er über meine Schulter lesen können, was ich geschrieben habe? Nein, in seinen Augen spiegelte sich allein seine Sorge.
»Ich wollte nur sehen, wie es dir geht«, sagte er mit sanfter Stimme.
Sie seufzte vor Erleichterung, doch der Seufzer endete in einem Hustenanfall. Als sie zu ihm aufsah, hatte sich seine Miene verfinstert.
»Robert sagt, dass du seinen Rat abgelehnt hast. Muss ich etwa Gladys befehlen, an deinem Bett Wache zu halten?«
»Tu, was du für richtig hältst, Frederic. Ich lasse mich nicht drangsalieren!«
Sie konnte sich an Zeiten erinnern, wo ihn derartiger Widerspruch erzürnt hätte. Doch heute sah er eher traurig drein. »Ich will dich nicht drangsalieren, Colette. Ich möchte nur, dass du wieder gesund wirst.«
»Und warum?« Plötzlich war sie den Tränen nahe. »Welchen Unterschied macht das schon?«
»Die Kinder brauchen dich.«
»Die Kinder … Nur die Kinder?« Sie biss sich auf die Lippe und wartete einen atemlosen Moment lang, dass er die heiß ersehnten Worte endlich aussprach.
»Wo warst du letzte Nacht?«, fragte er stattdessen.
Einen Augenblick lang war Colette verwirrt. Die Gedanken stürmten durch ihren Kopf: das stickige Zimmer, der Wunsch, die Kinder zu sehen, die Musik … und dann diese Frage, diese ganz besondere Frage. »Du warst hier?« Ein vorwurfsvoller Schimmer lag in ihrem Blick. Guter Gott, er misstraut mir noch immer!
»Robert hat ein so schreckliches Bild gezeichnet. Ich war besorgt und konnte nicht schlafen.«
»Ich auch nicht. Ich habe nach den Kindern gesehen.«
»Seltsam«, schnaubte er. »Ich auch. Aber dort warst du nicht.«
»Doch, ich war dort. Anschließend war ich unten im Wohnzimmer. Aber wenn du immer nur das Schlimmste glauben willst, damit dein Schmerz leichter …«
Sie hustete wieder, und diesmal heftiger, sodass sie sich nach vorn krümmte und seinen verzweifelten Blick nicht sah. »Colette«, drängte er und zog sie mit seinem gesunden Arm in die Höhe, »du musst unbedingt zurück ins Bett. Ich werde dich auch bestimmt nicht mehr stören, wenn du nur im Bett bleibst.«
Freitag, 31. März 1837
Nach diesem Anflug einer Lungenentzündung verschlechterte sich Colettes Gesundheitszustand ständig weiter, sodass sie so gut wie gar nicht mehr zu den Kindern kam. Dieser Freitag war jedoch eine Ausnahme. Wenn Colette nicht zu den Kindern kommen konnte, wollten die Kinder sie besuchen. Schließlich hatte sie heute Geburtstag. Charmaine hatte alles geplant: zuerst einen Ausflug mit den Kindern, und nach dem Mittagessen dann den Besuch bei ihrer Mutter. Als Geschenk hatten sie vor ein paar Tagen einen hübschen Kasten in der Stadt erstanden.
Charmaine hatte gerade Pierres Schnürsenkel zugebunden, als Frederic unter der Tür stand. »Gehen Sie fort?«
»Ja, Sir.« Sie richtete sich auf. In Gegenwart des Hausherrn war sie noch immer befangen, weil sie jedes Mal an ihre erste Begegnung zurückdachte. Inzwischen sahen sie einander täglich. Im vergangenen Monat war Frederic Duvoisin sogar, wie zuvor seine Frau, jeden Tag zu genau derselben Zeit im Kinderzimmer erschienen. Ganz so, als ob er seinen Kindern die kostbare Zeit mit ihrer Mutter ersetzen wollte.
»Mademoiselle Charmaine macht ein Picknick mit uns«, sagte Jeannette. »Möchtest du mitkommen, Papa?«
»Ich glaube nicht. Aber ich habe ein Päckchen für Pierre. Wenn ich richtig informiert bin, wird er heute drei Jahre alt.«
Der kleine Kerl strahlte vor Freude. »Genau! Und wo ist mein Geschenk?«
Frederic zog das Paket hinter dem Rücken hervor, und sofort stürzte sich Pierre darauf und zerrte das Papier herunter. Er fand ein hölzernes Schiff, eine Nachbildung der Segler, die für die Duvoisins über den Atlantik fuhren. Er umschlang seinen Vater. »Vielen Dank, Papa!«
Charmaine freute sich über das Glück des Jungen und war stolz auf sein gutes Benehmen. Doch Pierre rutschte bereits auf Händen und
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