Im Sommer der Sturme
hatten. Seine muskulösen Arme und die dunkle Haut belegten, dass er lange Stunden unter tropischer Sonne arbeitete. Er war ungefähr so jung wie sie … und dennoch so selbstbewusst wie ein sehr viel älterer Mann.
»Ich erinnere mich an Miss Ryan«, sagte er, als George sie einander vorstellte.
George verlor keine Zeit. »Ich habe noch eine Menge zu tun.«
Charmaine sah den Männern nach, als sie zusammen den Raum verließen. Sie hätte gern länger mit George geredet, doch so blieben ihr nur die Kinder. In Jeannettes traurigem Blick spiegelte sich Charmaines Stimmung.
»Hast du etwas, meine Süße?«, fragte sie.
»Ich wünschte, Mr. Remmen wäre ein bisschen länger geblieben. Mehr nicht.«
Mr. Remmen und Mr. Richards , dachte Charmaine.
Donnerstag, 6. April 1837
Dunkle Wolken ballten sich zusammen, bis sie die Sonne verdeckten, und der Donner grollte, aber all das reichte bei weitem nicht an das Wehklagen heran, das das Herrenhaus in seinen Grundfesten erschütterte. Alle Angestellten beteten für ihre zarte Herrin, die dem Tode nahe war. Die Lungenentzündung hatte sich verfestigt. Jede noch so kleine Besserung hatte sich als Täuschung erwiesen, und inzwischen kämpfte Colette um ihr Leben.
Frederic war der Verzweiflung nahe. In seiner Qual lief er ständig in seinen Räumen auf und ab. So verkrüppelt und machtlos wie er war, konnte er weder die Schwäche seiner Frau besiegen, noch konnte er sich selbst heilen. Man hörte nur das schwere Dröhnen seines Stiefels und das Klicken der Stockspitze. Wieder und wieder und wieder. Er hatte Colette erst vor kurzem verlassen, aber Roberts düstere Worte verfolgten ihn. »Ich fürchte, sie wird sterben, Frederic. Wir können nichts anderes tun als beten.«
Guter Gott, das durfte nicht sein! Colette war viel zu jung, zu schön und so voller Leben. Nein , korrigierte er sich verächtlich, so voller Leben war sie schon lange nicht mehr . Nicht mehr, seit er sie mit den Fesseln der Schuld an sich gekettet hatte. Aus dem lebensfrohen Mädchen war eine reservierte Lady geworden. Der Kummer und die Niederlage hatten ihr Lachen und ihr Feuer erstickt, und die einst leuchtend blauen Augen waren nur noch rauchgrau. Er verlor sie ebenso gewiss, wie er sie schon vor Jahren verloren hatte … und das alles aus eigener Schuld. Sie wollte nicht mehr leben. Er hatte dafür gesorgt, dass ihr Leben nicht mehr lebenswert war. Es war furchtbar, dass ihm nichts mehr zu tun blieb, als auf und ab zu laufen und zu beten.
Das Haus wurde von einem heftigen Sturm erschüttert. Die Türen knallten heftig auf und zu, als ob sie den Sturm verspotten wollten. Paul schob sich das nasse Haar aus der Stirn, streifte sein durchweichtes Cape von den Schultern und reichte es Travis.
»Wie war Ihre Reise?«, fragte der Diener höflich.
»Sehr gut … sehr gut«, entgegnete Paul nervös. »Aber was, zum Teufel, ist in Charmantes vorgefallen? Ich komme nach dreieinhalb Monaten zurück und finde nur Chaos vor. George ist nirgends zu finden, und Jake Watson und Harold Browning scheinen die Sprache verloren zu haben. Nicht einmal Wade Remmen ist mutig genug, um mir zu verraten, dass George der Insel den Rücken gekehrt hat. Das darf doch nicht wahr sein! Um die Sache noch schlimmer zu machen, befinden wir uns mitten in einem Sturm, ohne dass auf der Insel etwas gesichert wurde!«
»Das ist im Augenblick nicht der Rede wert«, versuchte Travis die Wogen zu glätten. »Noch ist die Zeit für Hurrikans nicht angebrochen.«
Paul schnaubte nur. »Wie konnte ich nur erwarten, dass in meiner Abwesenheit alles glattläuft?«
»Seit zwei Tagen ist das ganze Haus in heller Aufregung«, erklärte Travis mit angespannter Stimme. »Miss Colette ist sehr krank. Dr. Blackford ist ständig im Haus und lässt niemanden zu ihr. Selbst Mrs. Ward ist außer sich vor Angst.«
Pauls Ärger war wie weggeblasen. Die Haltung des Butlers ließ keinen Zweifel am Ernst der Lage. »Und mein Vater … weiß er davon?«
»Jedermann weiß es, Sir, und alle beten. Besonders die Kinder.«
Die Kinder , dachte Paul. Sie werden außer sich sein, wenn ihrer Mutter etwas geschieht . Unwillkürlich erstand Charmaines Bild vor seinem inneren Auge, doch er schüttelte solch profane Regungen ab. »Ich brauche ein Bad und muss mich umziehen und etwas essen. Und dann möchte ich meinen Vater sprechen.«
»Ja, Sir.« Travis nickte, sichtlich erleichtert, dass er etwas tun konnte. »Joseph wird sich um das Bad kümmern, Fatima richtet
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