Im Sommer der Sturme
Ihnen etwas zu essen her, und ich sage Ihrem Vater Bescheid, dass Sie zurück sind.«
Paul war schon auf der Treppe, als ihm das Gerücht einfiel, das er sogleich bei seiner Ankunft auf Charmantes gehört hatte. »Travis, wo ist George?«
»Er hat die Insel vor drei Tagen an Bord der Rogue verlassen, Sir.«
»Wie bitte? Und warum?«
Travis erinnerte sich an Georges Anweisung: Sagen Sie das Paul oder Frederic nur, wenn sie ausdrücklich danach fragen . »Miss Colette hat ihn gebeten, einen Brief nach Virginia zu bringen.«
»Gütiger Gott im Himmel! Ist er denn übergeschnappt? Weiß mein Vater davon?«
»Nein, Sir. Er hat mich nicht danach gefragt.«
»Guter Gott«, fluchte Paul erneut, als ihm der ganze Umfang der Misere klar wurde. Georges Abwesenheit warf alle seine Pläne über den Haufen. Besonders der Fortschritt auf Espoir war gefährdet. Aber diese Gedanken waren rein gar nichts im Vergleich zu dem Unglück, das sie alle erwartete. Er rieb sich die Stirn, doch die Schmerzen wurden nur schlimmer.
Seine Gedanken waren bei Colette. Sie musste ihren Tod befürchtet haben, wenn sie George diesen Auftrag gegeben hatte. Aber warum? Welchen Nutzen erwartete sie außer Schmerz und Zerstörung für alle Beteiligten? Letz ten Endes konnte es sogar den Zusammenbruch dieser wankenden Festung bedeuten … Paul schauderte.
So gut es ging, versuchte Charmaine, die Kinder abzulenken, doch sie waren nicht zu einem Versteckspiel zu be wegen. »Komm von der Tür weg, Jeannette. Dein Vater ruft uns schon, wenn deine Mutter aufwacht.«
»Das hat er gestern auch gesagt, aber wir durften sie trotzdem nicht sehen.«
»Und am Tag davor nur zehn Minuten«, maulte Yvette.
Charmaine seufzte, weil ihr keine aufmunternden Worte mehr einfallen wollten. »Ich weiß, aber trotzdem müssen wir warten. Da eure Mutter Ruhe braucht, sollten wir sie ihr auch gönnen. Ihr wollt doch auch, dass sie wieder gesund wird, nicht wahr?«
Jeannette nickte, doch Yvette gab nicht so rasch auf. »Das hat man uns jetzt oft genug gesagt! Ich wette, Papa kommt auch heute nicht. Vor lauter Sorge um Mama hat er uns vergessen.«
Jeannette standen die Tränen in den Augen. »Glauben Sie das auch, Mademoiselle Charmaine? Er hat doch versprochen, dass wir Mama heute sehen dürfen.«
»Ich will sie auch sehen«, krähte Pierre und kroch unter dem Bett hervor, wo er sich bereits versteckt hatte. »Ich habe Sehnsucht nach Mama. Wann dürfen wir zu ihr?«
Charmaine hob ihn hoch und setzte ihn aufs Bett. »Jetzt hört mir einmal zu: Ich bin sicher, dass Dr. Blackford und auch euer Vater alles tun, um eure Mutter gesund zu machen. Aus diesem Grund müssen wir uns an das halten, was sie sagen. Und wenn eure Mutter euch sehen möchte, was sie ganz sicher will, dann seid ihr doch nicht vergessen, oder?« Als die Kinder die Köpfe schüttelten und die Tränen langsam versiegten, bat Charmaine die Kinder noch einmal um Geduld, woraufhin alle drei nickten.
Colettes Brust hob und senkte sich unter Schmerzen, und ihr Atem ging so flach, als ob die Last der ganzen Welt sie niederdrückte. In einem Moment war ihr glühend heiß, und im nächsten schlotterte sie unter den feuchten Laken, die man gerade vor einer Stunde gewechselt hatte. Sie kämpfte wie eine Löwin und riss die Augen auf, als ihr eine kühle Kompresse auf die brennend heiße Stirn gedrückt wurde.
»Sch …«, flüsterte Rose Richards, »liegen Sie ganz still, Colette … versuchen Sie, nicht zu sprechen …«
Colette seufzte. Die alte Frau war wie eine Mutter zu ihr. Besser jedenfalls, als ihre Mutter jemals gewesen war. In ihrer Gegenwart fühlte sie sich geborgen. Die Zeit verging, und Rose wechselte immer wieder die Kompressen.
»Versuchen Sie zu schlafen, Colette«, redete Rose ihr gut zu. »Ein erholsamer ruhiger Schlaf …«
Doch die Worte bewirkten genau das Gegenteil. Colette öffnete die Augen. »Nana …«
»Sch … Sparen Sie Ihre Kräfte. Sie müssen nicht sprechen.«
Colette fuhr mit der Zunge über ihre aufgesprungenen Lippen. »Nan«, presste sie kaum hörbar hervor. »Ich muss es aber wissen … hat George …«
»Ja, Kind«, beruhigte sie die alte Kinderfrau. »George hat Charmantes vor ein paar Tagen verlassen und wird den Brief sicher ans Ziel bringen. Legen Sie sich zurück und schließen Sie die Augen. Sie müssen sich ausruhen.«
»Aber es ist wichtig … sehr wichtig …«
»Ja, ja, ich weiß!«
»Nein«, rief Colette, die einen beruhigenden Unterton gehört zu haben
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