Im Sommer der Sturme
kommandierte Robert. »Sie regen sie nur unnötig auf!«
»Nein«, bat Colette. »Bitte …« Der Rest ging in einem Hustenanfall unter.
»Ich sagte, Sie regen sie unnötig auf!«
Paul hörte nicht hin. Er ging um das Bett herum und zog Colette ein wenig hoch, damit sie besser atmen konnte. Ihre Haut glühte.
»Es geht mir schon besser«, flüsterte sie. »Ich würde gern etwas trinken.«
»Bitte, Paul, Sie müssen gehen!«
»Verdammt, geben Sie ihr lieber was zu trinken«, bellte Paul.
Agatha goss eilig ein Glas Wasser ein. Colette trank nur einen winzigen Schluck, bevor sie wieder in die Kissen sank. Kleine Schweißperlen erschienen auf ihrer Stirn. Paul wischte sie ab.
»Danke«, hauchte Colette und räusperte sich.
»Möchtest du sonst noch etwas?«
»Die Kinder … Robert weigert sich … aber ich möchte meine Kinder sehen …«
Paul nickte. »Ich hole sie.«
Als er in den Salon hinausging, folgte ihm Robert auf dem Fuß und schloss die Tür zwischen beiden Räumen. »Sie können das nicht tun. Sie ist nicht kräftig genug …«
»Was für ein Arzt sind Sie eigentlich, Robert?«, fuhr Paul ihn an. »Colette ist seit fast einem Jahr Ihre Patientin – und sehen Sie sie an!« Als Robert schwieg, schnaubte er verächtlich. »Gehen Sie mir aus dem Weg!«
»Das ist nicht meine Schuld«, brüllte Dr. Blackford ihm nach. »Colette hat eine Lungenentzündung! Ihre kleine Gouvernante hat sie in strömendem Regen zu einem Picknick mitgenommen. Sie hat sich erkältet, und ihre Lunge ist völlig verschleimt. Dagegen kämpft sie inzwischen seit einem ganzen Monat an.«
Wütend fuhr Paul herum, doch gleich darauf erstarb sein Zorn so rasch, wie er aufgeflammt war. Kopfschüttelnd verließ er das Zimmer.
»Warte einen Augenblick, Yvette«, sagte Charmaine, als sie zur Tür ging und öffnete.
»Miss Ryan«, begrüßte Paul die Gouvernante, die im Vergleich zu Colette wie das blühende Leben aussah.
»Paul«, rief Charmaine, aber dann fehlten ihr vor Überraschung die Worte.
Die anderen spitzten die Ohren, als sie ihren Aufschrei hörten. Selbst Frederic strahlte und ließ Pierre von seinem Schoß herunter. »Bitte, kommen Sie herein«, sagte Charmaine. »Wann sind Sie denn angekommen?«
»Vor etwa einer Stunde.« Er zauste Pierres Haar und umarmte Jeannette, die zu ihm herübergelaufen war.
Yvette blieb neben ihrem Vater stehen, der an ihrem Schreibtisch saß. »Mama ist sehr krank«, informierte sie Paul mit ernstem Gesicht, als ob es das Wichtigste sei, was im Augenblick zählte.
»Ich weiß, meine Süße. Sie hat nach euch gefragt. Möchtet ihr sie sehen?«
»Oh, ja«, riefen die Kinder im Chor.
»Aber sie hat hohes Fieber«, mahnte Paul. »Sie darf nicht viel sprechen, damit sie nicht hustet. Und wir dürfen nicht lange bleiben. Habt ihr das verstanden?«
Sie nickten eifrig.
Er hatte gerade Pierre auf den Arm gehoben, als Agatha mit aschfahlem Gesicht unter der Tür stand. »Es ist so weit. Robert fürchtet, dass es so weit ist.«
Tod … Das Wort hing in der Luft. Die versammelte Familie konnte es spüren, konnte es riechen und fühlen … und verinnerlichen. Doch vor den Geräuschen gab es kein Entkommen: Nicht vor Colettes gequältem Atem und dem hartnäckigen Husten und nun auch nicht vor der Trauer ihrer Liebsten. Vor der Endgültigkeit dieser Stunde schloss Charmaine die Augen. Warum, in Gottes Namen, haben wir die Kinder hergebracht?
Nach dem harten Kampf war Colettes Schönheit nur noch Erinnerung. Eingesunkene Augen, raue Lippen, fahle Haut über abgemagerten Wangen und mattes Haar.
Yvette war die Erste, die der Wirklichkeit ins Gesicht sah. Mit kleinen Schritten ging sie zum Bett, während ihr die Tränen über die Wangen liefen. »Ich bin hier, Mama«, sagte sie und nahm Colettes Hand.
Colette versuchte ein Lächeln.
Jeannette lief ihrer Schwester nach und fiel neben ihrer Mutter auf die Knie. Als Colette die Augen schloss, barg sie ihr Gesichtchen auf dem Laken und weinte.
»Weine nicht«, tröstete Colette sie und fand sogar die Kraft, um über Jeannettes Haar zu streicheln. »Ich bin glücklich …« Der Satz hing noch in der Luft, als sie erneut von einem Hustenanfall geplagt wurde.
Blackford drängte sich an Paul vorbei, der wie ein Pos ten auf Wache stand. »Die Kinder hatten Zeit genug«, drängte er. »Dieser Besuch bringt alle durcheinander. Vor allem Colette. Das ist nicht zu verantworten.«
Dieser Einwand war berechtigt, dachte Paul. Trotzdem konnte er Colettes
Weitere Kostenlose Bücher