Im Sturm der Gefuehle
Grimshaw sich heute selbst verraten sollen? Hätte Edwards Mörder schon entlarvt sein sollen? Oder war etwas anderes gemeint?
Müßig spielten ihre Finger mit dem spröden Haar auf seiner Brust, während sie in Gedanken bei den vergangenen Ereignissen war. Nicht nur bei jenen des Abends oder der letzten Woche, sondern bei allen entscheidenden Wendungen, die ihr Leben seit Simons Tod genommen hatte, besonders, seitdem sie Ives begegnet war.
Plötzlich fügten sich einige Dinge mit erschreckender Klarheit zusammen: Simons lange zurückliegende Bemerkung über Roxbury. Ives' scheinbare Unfähigkeit, bestimmte Entscheidungen ohne Roxburys Zustimmung zu treffen. Aber noch wichtiger, seine plötzliche und unerklärliche Vorliebe für die anrüchige Gesellschaft von Simons alten Freunden.
Es stimmte, dass Viscount Harrington ihr noch vor kurzem völlig fremd war, doch in den Anfängen ihrer Bekanntschaft hatte sie sich unwillkürlich zu ihm hingezogen gefühlt. Und in den Anfängen, rief sie sich in Erinnerung, hatte es keine Anzeichen dafür gegeben, dass er dazu neigte, zügellosen Vergnügungen nachzugehen. Trotz ihrer spontanen Sympathie hätte sie sich schleunigst davongemacht, falls er auch nur eine Andeutung von schlechtem Lebenswandel verraten hätte. Wenn sie es recht bedachte, hätte sie damals tatsächlich geschworen, dass Ives die Gesellschaft und Moral von Männern wie Grimshaw und den anderen mied und verachtete. Nicht so in letzter Zeit.
Warum nicht? Warum diese plötzliche und unvorhersehbare Neigung für diese Leute? Wieder dachte sie an Simons Bemerkung: Ives' Patenonkel, ein Meisterspion. Wenn Simon so viel über Roxbury wusste, um dies, wenn auch im Scherz, zu behaupten, hatte Simon mit Männern Umgang haben müssen, die darüber Bescheid wussten, nämlich mit Agenten.
»Erzähl mir von Roxbury«, sagte sie plötzlich. »Simon bezeichnete ihn einmal als Meisterspion. Ist er das wirklich?«
Sie spürte sofort die Wachsamkeit in ihm, und ihre Gewissheit, dass sie auf die Wahrheit gestoßen war, wuchs.
»Nicht so ganz. Und das ist gewiss nicht allgemein bekannt, wenngleich man ihn in gewissen Kreisen so nennt«, gestand Ives widerstrebend ein. Ihm behagte diese Wendung nicht, doch er wollte nicht richtig lügen.
Als sie ihn weiterhin voller Erwartung ansah, setzte er unwillig hinzu: »Es könnte sein, dass etwas Wahres daran ist. Seine Hingabe an sein Land ist geradezu legendär, und ich bin sicher, dass er sich von Zeit zu Zeit mit Sachen befasst, die ihn, nun ja, die ihn in die Nähe von Spionage rücken.«
Sophy sagte eine Zeit lang nichts, und just als Ives schon glaubte, sie hätten das gefährliche Thema hinter sich gelassen, bemerkte sie nachdenklich: »Und wenn er Hilfe bräuchte, sagen wir, wenn er einen Verräter und Spion hier in London entlarven wollte, wäre es dann nicht möglich, dass er dich um Beistand bäte?«
Ives zwang sich zu einem Lachen. »Ich bin kein Spion, Liebling.«
»Wenn aber dein Patenonkel dich um Hilfe bäte«, fuhr sie beharrlich fort, »würdest du sie ihm doch gewähren, oder? Um einen Spion dingfest zu machen?«
Hätten sie nicht nackt und eng aneinander geschmiegt dagelegen, Sophy hätte nicht bemerkt, dass Ives leicht erstarrte. Doch sie spürte es und wusste, dass sie sich auf der richtigen Spur befand.
Sie setzte sich auf und starrte auf ihn hinunter. »Du arbeitest für deinen Taufpaten, so ist es doch? Deshalb triffst du dich immer mit Roxbury zu einer Besprechung, wenn etwas Unvorhergesehenes passiert. Und das ist auch der Grund, weshalb er so häufig ins Haus kommt.« Sie kniff die Augen zusammen und sagte langsam und fast wie im Selbstgespräch: »Und deshalb läufst du immerzu davon und triffst dich mit Grimshaw und den anderen. Einer von ihnen ist ein Spion, und du sollst ihn entlarven.«
»Mach dich nicht lächerlich.« Ives grollte und verwünschte ihre Klugheit ebenso, wie er sie bewunderte. »Glaubst du wirklich, Grimshaw, der ja ein Schuft sein mag, wäre ein Spion? Warum sollte er so tief sinken? Wird er entlarvt, kostet es ihn den Kopf. Auf Hochverrat steht die Todesstrafe.«
Sie hielt seinen Blick fest, als sie nachdenklich sagte: »Das hätte Simon nicht abgeschreckt. Er hätte sich für zu vorsichtig gehalten, für zu gerissen, zu klug, um gefasst zu werden, und es hätte ihm Vergügen bereitet, jemandem wie Roxbury auf der Nase herumzutanzen. Vielleicht ist dein Spion ähnlich wie Simon ein Mensch, der das Wagnis liebt, einer, der
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