Im Sturm der Gefuehle
zeigte er keine Merkmale eines Wüstlings oder Spielers. Seine Vergnügungen waren völlig normal und akzeptabel: er übte sich bei Manton im Schießen; er boxte bei Gentleman Jackson; er besuchte Hahnenkämpfe und Bärenhatzen, und er ging zu Pferdeauktionen bei Tattersall. Die Abende verbrachte er oft in Gesellschaft seiner beiden engsten Gefährten, wobei sie verschiedene gesellige Veranstaltungen besuchten und so wie heute anschließend manchmal noch in eines der vielen Spielkasinos oder einen Klub gingen.
Seine Freundschaft mit Sir Alfred Caldwell war ihr nicht geheuer, aber bis jetzt hatte Marcus keine Neigung gezeigt, Unschuldige zu verführen oder seine Tage und Nächte am Spieltisch oder mit Trinken zu verbringen. Sophy war stolz auf ihn. Und was Onkel Edward betraf ...
Ihre Stirn furchte sich, als sie verbittert daran dachte, dass Edwards Neigung, jedem nur vorstellbaren Laster zu frönen, ihnen allen das Leben ungemein erschwerte.
Er war nicht nur von niederschmetternder Nachlässigkeit, was die Phoebe und Marcus rechtmäßig zustehenden Zahlungen betraf, Sophy war auch quälend bewusst, dass er das Vermögen ihres Vaters mit beängstigender Geschwindigkeit ausgab. Und ehe Marcus nicht einundzwanzig war, konnte man nichts dagegen unternehmen.
Als sie nach Simons Tod in Gatewood ankam, hatte sie unverzüglich Mister Thomas Brownell, den Anwalt der Familie, aufgesucht. Uberglücklich sie zu sehen, gab er seiner Besorgnis um das Vermögen Ausdruck - was er ihr zu berichten hatte, war tatsächlich höchst beunruhigend. Baron Scoville hatte in ihren Angelegenheiten zwar nichts mehr zu sagen, bei ihren Geschwistern aber war die Lage anders.
Das Testament ihres Vaters räumte seinem Schwager freie Hand und gefährlichen Zugang zum gesamten Familienvermögen ein. Zum Glück aber - und das war die einzig gute Nachricht - war ein großer Teil des Vermögens unveräußerlicher Familienbesitz, sodass Edward daran gehindert wurde, ihr Heim und die großen Ländereien, die zu Gatewood gehörten, einfach zu verkaufen. Andererseits hinderte ihn nichts daran, das Gut auszubluten, was er denn auch tat. Sophy konnte höchstens versuchen, ihren Onkel durch Bitten und Schmeicheln zu bewegen, das einzig Richtige zu tun: auf seine Rechte zu verzichten und es ihr zu überlassen, sich um ihre Geschwister und die Verwaltung ihres verbleibenden Vermögens zu kümmern.
Sophy, die in das offene Buch vor sich starrte, schnaubte vor Wut. Die Sorge um Marcus und Phoebe überließ er ihr nur zu gern. Auf die Verfügung über das Familienvermögen, besser gesagt, über die Reste eines solchen, wollte er jedoch nicht verzichten.
Wut erfasste sie, wenn sie an die Kniffe dachte, die sie hatte anwenden müssen, um Marcus und Phoebe das ihnen gebührende Leben zu ermöglichen. Sie hatte wahre Unsummen ihres eigenen Geldes in Gatewood gesteckt, um es wieder in seiner alten Pracht auferstehen zu lassen. Und da der liebe Onkel Edward so nachlässig mit den vierteljährlichen Zahlungen war, die dies alles hätten bestreiten sollen, war es natürlich Sophy, die für die laufenden Unterhaltskosten ihrer Geschwister aufkam.
Sie warf einen Blick auf Phoebes gesenkten goldenen Kopf und dachte an Marcus' Freude, in London zu sein. Sie bereute nichts und hätte wieder so gehandelt, doch verübelte sie es ihrem Onkel sehr, dass er das Vertrauen ihres Vaters so unverschämt missbrauchte.
Ihren Vater traf keine Schuld. Er hatte ja nicht wissen können, dass er so unerwartet sterben würde, auch nicht, dass seine Frau die Großjährigkeit ihrer Kinder nicht erleben würde. Sophy schob die Unterlippe nachdenklich vor. Ihre Mutter hätte Edwards Verschwendungssucht zwar nicht gebremst, als Schwester aber hätte Jane gewiss mehr Einfluss auf ihn ausüben können als eine Nichte.
Seufzend zwang Sophy ihre Gedanken in eine andere Richtung. Wenn sie zu lange bei dem abscheulichen Verhalten Baron Scovilles verweilte, wirkten diese Überlegungen aufregend und niederdrückend zugleich auf sie. Entschlossen steckte sie ihre Nase in das Buch vor sich und verdrängte entschlossen alle Gedanken an ihren Onkel, sodass sie und Phoebe ihren ruhigen Abend zu Hause richtig genossen.
Ihr Schlaf sollte nicht so ruhig sein - wieder träumte sie von Lord Harrington. Beim Erwachen konnte sie sich an die Einzelheiten des Traumes nicht mehr erinnern, nur an seine grünen Augen, die sie zu verspotten und herauszufordern schienen. Indem sie ihn und sich kräftig verwünschte
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