Im Tal der flammenden Sonne - Roman
eigenen zu betrachten. Jonathan fragte sich auch, was es mit ihrem angeblichen Leiden auf sich hatte. Trotz allem, was sie durchgemacht hatte, wirkte sie nicht besonders zerbrechlich. Vielleicht war sie nur eine verängstigte junge Frau, die sich hinter eingebildeten Krankheiten versteckte. Die Frage war nur: Wovor fürchtete sie sich? Das hatte Jonathan noch nicht herausgefunden, aber sie hatte ihn auf jeden Fall neugierig gemacht.
»Sie kommen aus London?«
»Ja. Wie sehr ich die Stadt vermisse! Ich bin gern ins Theater gegangen und nachmittags zum Tee ins Dorchester und andere feine Hotels. Am meisten aber vermisse ich mein Zuhause, mein Zimmer und mein großes, weiches Bett. Ich hatte oft Bronchitis, wissen Sie, deshalb sorgte Nellie, unsere Haushälterin, immer dafür, dass im Kamin in meinem Zimmer ein Feuer brannte, damit ich es schön warm hatte. Und Mummy umsorgte mich liebevoll.« Brennendes Heimweh und heftige Sehnsucht nach ihren Eltern überkamen sie. Vor allem ihre Mutter fehlte ihr. Zum ersten Mal wurde ihr klar, dass sie deren rührende Fürsorglichkeit immer für selbstverständlich gehalten hatte. Nicht eine Sekunde lang hatte Arabella damit gerechnet, ihr Leben könne sich jemals ändern.
»Was wollen Sie später einmal machen? Beruflich, meine ich?«
Arabella blickte ihn verdutzt an. »Beruflich? Ich habe keine beruflichen Pläne.«
»Aber Sie haben doch sicher Hobbys.«
»Ich male ein bisschen, aber nicht besonders gut, und ich liebe Musik, besonders Opern, aber auch Musicals.«
Jonathan konnte nicht fassen, dass Arabella keine ernsthaften Interessen oder Zukunftspläne hatte. Anscheinend bestand ihr ganzes Leben aus gesellschaftlichen Vergnügungen.
»Tja, ich gehe dann mal wieder«, sagte Arabella gereizt. »Maggie hat mich gebeten, Eier aus dem Hühnerstall zu holen.«
»Und ich muss meine Sachen noch zusammenpacken. Tut mir leid, dass ich bei Faiz Mohomet nichts erreicht habe, aber Sie müssen das verstehen. Seine Kamele bedeuten ihm alles. Für einen Mann wie ihn sind seine Tiere nicht mit Gold aufzuwiegen.«
Arabella schüttelte den Kopf. »Merkwürdig.«
»Vielleicht werden Sie bald verstehen, warum die Kamele so wertvoll sind«, sagte Jonathan lächelnd.
»Wieso?«
»Tony hat mir erzählt, dass heute Wasser geliefert wird.«
»Was hat das mit den Kamelen zu tun?«
»Warten Sie’s ab. Sie werden schon sehen.«
Arabella scheuchte die Hennen aus ihren Legeboxen, damit sie die Eier einsammeln konnte. In Gedanken war sie noch bei Jonathan und seiner Bemerkung, auf die sie sich keinen Reim machen konnte. Plötzlich wehte eine gewaltige Staubwolke in den Hühnerhof.
»Iiih!« Angewidert hielt Arabella sich Mund und Nase zu. Da sich schon etliche Eier in der Schüssel befanden, eilte sie zur Gittertür, schlüpfte hindurch und schloss sie hinter sich. Sie war schon auf dem Weg zum Haus, als sie den Kopf in die Richtung drehte, aus der der Staub heranwirbelte, und ihre Augen wurden groß. Zwei Karawanen mit sicherlich je dreißig Kamelen zogen vorbei. Auf dem jeweils ersten Kamel saß ein Reiter; alle Tiere waren durch Nasenringe und Seile miteinander verbunden. Einer der beiden Reiter trug einen Turban und eine ausgebeulte Latzhose über einem weiten Hemd. Ein buschiger Bart zierte sein Gesicht. Jedes der Kamele hinter ihm war mit zwei großen Wassertanks beladen, die jeweils annähernd hundert Liter fassten und rechts und links des Höckers befestigt waren. Die Behälter sahen groß und schwer aus, doch die Tiere schienen die Last mit Leichtigkeit zu tragen. Vor dem Hotel hielten die Kamele auf ein Kommando des Treibers hin an. Nach einem zweiten Kommando ließ sich sein Reittier, wenn auch unter protestierendem Brummen, auf die Knie herab. Die anderen Kamele folgten seinem Beispiel, wobei auch sie ein widerwilliges Grummeln von sich gaben.
Arabella beobachtete die Szene in ehrfürchtigem Staunen.
»Hallo, Musloom!«, begrüßte Tony, der herausgekommen war, den Kameltreiber. »Wie war die Reise? Ist alles gut gegangen?«
»Alles bestens«, erwiderte Musloom. »Trotzdem freue ich mich darauf, mich endlich ausruhen zu können!«
Musloom Shar und Mahomet Drim waren elf Tage zuvor von Marree aus aufgebrochen. Sie hatten sich mit ihren Kamelen nach Norden gewandt und waren dem Birdsville Track bis nach Mungerannie gefolgt, wo es eine Quelle gab. Sie hatten eine Strecke von insgesamt etwa zweihundertfünfzig Meilen zurückgelegt. Einhundertzwanzig Tanks mussten mit Wasser
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