Im Tal des Fuchses: Roman (German Edition)
vielen Tränen, und ihre Haut war rot und fleckig. Sie sah bei Weitem nicht mehr so hübsch aus wie sonst.
»Und ich«, sagte Ryan, »gehe nie wieder ins Gefängnis.«
Sie schniefte, wischte sich mit dem Handgelenk die Tränen aus dem Gesicht. »Vielleicht kommst du mit einer kurzen Haftstrafe davon. Ich meine, du sagst ja, das mit dieser Frau war ein Unglück, das du nicht wolltest, und am Ende …«
»Glaubst du mir das?«, unterbrach Ryan. »Dass es ein Unglück war und ich kein kaltblütiger Mörder bin?«
»Ja«, sagte sie, aber ihre Augen verrieten so deutlich, dass sie log, dass Ryan fast gelacht hätte.
»Du glaubst mir kein Wort«, stellte er fest, »und weshalb sollte es dem Richter anders gehen?«
Sie legte so viel Aufrichtigkeit in ihren Blick, wie es ihr unter den gegebenen Umständen nur möglich war. »Ich würde für dich aussagen. Ganz ehrlich. Dass du anständig warst zu mir, dass du mir nichts getan hast. Es stimmt ja auch. Du bist kein schlechter Kerl, Ryan. Sonst hätte sich ja auch Nora nie mit dir eingelassen. Nora wird bestimmt auch aussagen, dass du …«
»Jetzt sei endlich still«, befahl er. »Ich muss wirklich nachdenken.«
Das Wichtigste war, dass sie ein anderes Auto bekamen. Und Geld. Und dann mussten sie so weit wie möglich nach Norden. Möglichst bis Schottland. Unter Umständen unterwegs noch ein- oder zweimal das Auto wechseln. Was natürlich einfacher klang, als es war. Ryan hatte zwar früher öfter Autos geklaut, aber es war etwas anderes, ob man es allein tat und dabei nicht unter Druck stand, das Wagnis also jederzeit einfach abbrechen konnte. Oder ob man gerade von der Polizei des ganzen Landes gesucht wurde und noch dazu eine Geisel bei sich hatte, die man scharf bewachen musste. Wahrscheinlich würde er Vivian irgendwann unterwegs loswerden müssen. Solange er sich in Wales befand, nutzte sie ihm, vielleicht auch noch bis in die Midlands hinein. Aber dann würde er sie irgendwo aussetzen, wo sie zwar nicht sofort Hilfe rufen konnte, jedoch mit Sicherheit irgendwann entdeckt werden würde. Er wollte nicht, dass sie zu Schaden kam. Er konnte sie nicht leiden, aber es stimmte, was er sagte: Er war kein Mörder.
Obwohl das Vanessa Willards Angehörigen sicher anders sehen würden.
»Okay«, sagte er. »Wir fahren weiter.«
Vivian ließ den Motor an und starrte auf die Benzinanzeige. »Wir kommen höchstens noch vierzig Meilen weit. Einschließlich der Reserve.«
»Ich weiß. Deshalb werden wir uns auch ein anderes Auto besorgen. Lass mich nur machen.« Er fühlte sich nicht einmal halb so selbstbewusst, wie er tat. Ihm schwebte irgendein größerer Parkplatz vor, neben einem Bahnhof vielleicht, an dem die Pendler ihre Autos stehen ließen. Dort konnte man relativ sicher sein, um diese Tageszeit nicht plötzlich von dem zurückkehrenden Autobesitzer überrascht zu werden. Die vielen Wagen boten zudem einen gewissen Sichtschutz. Trotzdem machte er sich nichts vor: Es konnte verdammt schiefgehen, und dann wäre alles zu Ende.
Sie bogen wieder auf die Landstraße. Ryan betrachtete Vivian von der Seite. Ihr verheultes Gesicht schien ihm ein klein wenig entspannter, nicht ganz so verzweifelt und verängstigt wie zuvor, und das war ein schlechtes Zeichen. Es hieß, dass Vivian endgültig begriffen hatte, wie prekär sich die Situation ihres Entführers zuspitzte und dass dieser Umstand für sie eine Chance darstellte. Den Versuch, ein Auto zu stehlen, würde sie für sich zu nutzen versuchen, das war ganz klar.
Am liebsten hätte Ryan das getan, was seine Begleiterin seit Stunden immer wieder tat: einfach losgeheult. Was natürlich nicht in Frage kam, denn das hätte ihn in ihren Augen noch mehr geschwächt, obwohl es vielleicht eine Erleichterung für seine Nerven gewesen wäre. Er musste stark bleiben, er würde stark bleiben.
Nie wieder Gefängnis. Das war alles, worum es jetzt ging.
13
Eine Stimme in meinem Kopf hatte mir die ganze Zeit über zugeflüstert, dass es ein Fehler war, erneut mit Ken ins Auto zu steigen, ihm sogar das Steuer zu überlassen. Die Stimme hatte mich beschworen, das Weite zu suchen, einfach zu sehen, dass ich wegkam. Aber ich hatte dagegengehalten: Ich wollte wissen, was aus Alexia geworden war.
Ken hatte meine Frage nicht beantwortet, stattdessen nur gesagt: »Komm mit.« Und am Klang seiner Stimme, am Ausdruck seines Gesichts hatte ich gemerkt, dass es sich nicht um eine Bitte handelte, der ich Folge leisten konnte oder auch nicht. Es
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