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Im Tal des Fuchses: Roman (German Edition)

Im Tal des Fuchses: Roman (German Edition)

Titel: Im Tal des Fuchses: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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aus.«
    »Wissen sie, dass du … im Gefängnis warst?«
    Er zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Glaube nicht. Ich habe es ihnen nicht gesagt.«
    »Woher wusste Bradley, dass du bei mir bist?«
    Das war in der Tat eine interessante Frage. Darüber hatte er bislang nicht nachgedacht. »Ich weiß es nicht. Aber es gibt sicher eine Erklärung dafür.«
    Sie sprachen nichts mehr. Als Ryan nach einer Weile zur Seite schaute, sah er, dass Nora eingeschlafen war. Gut so. Er wollte jetzt sowieso lieber für sich sein.
    Es war gegen vier Uhr am Morgen, als sie Sawdon erreichten. Der kleine Ort lag noch in tiefer, schläfriger Dunkelheit. Nur in einem Haus brannten alle Lichter: im Haus der Beecrofts, in deren beschauliches Dasein plötzlich ein so unfassbares Unglück hereingebrochen war. Offensichtlich war Bradley die ganze Nacht über für keinen Moment ins Bett gegangen.
    Er kam ihnen im Nieselregen auf dem Gartenweg entgegen, kaum dass sie angehalten hatten und ausgestiegen waren. Selbst im schwachen Licht der Laterne, die über der Haustür hing, konnte Ryan sofort erkennen, dass der alte Mann am Ende seiner Kräfte war. Seine Lippen zitterten, in seinen Augen flackerte Panik. Seine weißen, dünnen Haare standen wirr vom Kopf ab und verliehen ihm Ähnlichkeit mit einem gerupften Vogel.
    »Ryan! Ryan, Gott sei Dank, dass du da bist!« Er schloss seinen Stiefsohn in die Arme, eine Geste, die es nie zuvor zwischen ihnen gegeben hatte. Ryan war zwölf Jahre zuvor bei der Hochzeit gewesen und hatte seine Mutter danach noch ein paarmal in Sawdon besucht, und er hatte jedes Mal deutlicher gespürt, wie sehr Bradley ihn ablehnte. In seinen Augen war er ein Nichtsnutz, ein Taugenichts, ein ewiger Kleinkrimineller und Versager, der seiner Mutter das Leben schwer machte. Ryan war überzeugt, die Tatsache, dass Corinne irgendwann aufgehört hatte, sich noch um einen Kontakt zu ihrem Sohn zu bemühen, war auf Bradleys Einfluss zurückzuführen. Eigentlich hatte er den Alten in seinem Leben nicht wiedersehen, schon gar nicht ihn jemals umarmen wollen, und diese Einstellung hatte Bradley sicher geteilt. Doch die akute Notsituation hatte die Dinge verändert: Bradley stand kurz vor einem Zusammenbruch. Er war vollkommen überfordert und schien aus tiefster Seele zu hoffen, der junge Mann vor ihm werde einmal im Leben etwas Sinnvolles tun und einen Ausweg aus einer wirren und beängstigenden Situation finden. Eine Hoffnung, von der Ryan fürchtete, er werde sie enttäuschen müssen. Er hegte zwar eine furchtbare Ahnung, was hinter alldem stecken könnte, aber diese Ahnung war vage und für ihn selbst noch nicht zu durchschauen. Tauchte Corinne nicht bald wieder auf, sah sich Ryan überdies zum zweiten Mal mit der Notwendigkeit konfrontiert, der Polizei gegenüber endlich die Karten auf den Tisch legen und die Willard-Geschichte offenbaren zu müssen. Beim ersten Mal hätte er es dringend tun sollen, um Vanessa Willard zu retten. Aus Feigheit hatte er geschwiegen. Und nun, da sich die Möglichkeit abzeichnete, dass Corinnes Verschwinden in einem Zusammenhang mit Vanessa Willard stand, müsste er es tun, um seine Mutter zu retten.
    Obwohl er auf der ganzen Fahrt schon darüber nachgedacht hatte, begriff er erst in diesem Moment, umarmt von seinem verhassten Stiefvater, dass ihn der Alptraum mit der größtmöglichen Gnadenlosigkeit eingeholt hatte: indem er sich anschickte, sich zu wiederholen.
    Bradley löste sich von ihm und trat einen Schritt zurück. »Wie kräftig du geworden bist, Junge. Du hast unglaubliche Muskeln bekommen!«
    Ja, selbst im Knast kann man trainieren, hätte Ryan am liebsten geantwortet, aber er verbiss es sich. Bradley hatte sich bereits Nora zugewandt und drückte ihr die Hand. »Sie sind also Ryans Lebensgefährtin!«
    Nora lächelte ihn an. »Nora Franklin.«
    Bradley, von der adretten Nora sichtlich angenehm überrascht, blickte wieder zu Ryan hinüber. »Ich hatte Deborah angerufen. Ich erinnerte mich, dass deine Mutter so große Stücke auf sie hielt, Ryan.«
    Ryan wusste das. Debbie hatte ihn mehrfach nach Yorkshire begleitet, und Corinne war begeistert von ihr gewesen. Sie hatte gehofft, ihr Sohn werde mit dieser Frau an seiner Seite zu einem bürgerlichen und vor allem anständigen Lebenswandel finden. In der ersten Zeit nach der Trennung hatte sie Debbie immer wieder angerufen und gebeten, Ryan doch noch eine Chance zu geben.
    »Ich habe ihre Telefonnummer auf Corinnes Schreibtisch gefunden.

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