Im Taumel der Sehnsucht
Vorstellungen übernehmen sollte. Caroline nutzte die Zeit, um ihre Cousine auf Seite zu ziehen und ihr ins Ohr zu flüstern: »Sie sind hier, Charity. Drüben, an der anderen Wand. Nein! Sieh jetzt nicht hin«, fügte sie rasch hinzu.
»Wer ist hier?« wollte Charity wissen. Sie blinzelte und versuchte, um Caroline herumzublicken.
»Nicht hinsehen! Du könntest sie ohnehin nicht erkennen. Sie sind zu weit weg.«
»Lynnie, jetzt reiß dich zusammen«, sagte Charity in ärgerlicher Ungeduld und stemmte eine Hand in die Hüfte. »Wer ist hier?«
»Der Mann, dem wir an dem Tag geholfen haben, als wir ankamen«, erklärte Caroline, die erkannte, daß Charity recht hatte. Sie mußte sich zusammenreißen. Was in aller Welt war denn los mit ihr? Sie benahm sich unruhig und tänzelte genauso herum, wie eines ihrer edlen Pferde. Nur ... wieso? »Und Bradford auch«, fuhr sie fort. »Sie sind beide hier.«
»Oh, ist das nicht nett?« Charity strahlte vor Freude. »Wir müssen ihnen sofort guten Tag sagen.«
»Nein, das ist nicht nett«, schnappte Caroline. »Ich finde das überhaupt nicht nett.«
Charity zog die Stirn in Falten. »Caroline, du solltest dich einmal selbst hören. Was ist denn los mit dir? Du kommst mir fast so vor, als ob du Angst hättest.« Diese Feststellung verblüffte Charity selbst. In all den Jahren, die sie Caroline kannte, hatte sie niemals Furcht bei ihr bemerkt. Es war wirklich erstaunlich, ihre Cousine derart aufgewühlt zu sehen.
Es blieb jedoch keine Zeit mehr, das Thema zu vertiefen. Charity wurde von dem nächsten Verehrer auf die Tanzfläche entführt, und einen Augenblick später forderte der Viscount Claymere mit einer großartigen Verbeugung Caroline auf.
Caroline ging neben ihm zur Mitte der Tanzfläche, wo er ihren Ellenbogen nahm. Seine Hand war verschwitzt; offensichtlich war der gute Mann ein wenig nervös. Um ihn zu beruhigen, lächelte Caroline ihn an, doch das war offenbar genau das falsche gewesen. Der arme Viscount stolperte, und Caroline mußte seinen Arm packen, damit er das Gleichgewicht nicht verlor.
Von diesem Moment an bemühte sie sich, eine gefaßte Miene zu machen und ihn nicht direkt anzusehen, denn der Viscount schien es nicht zu verkraften. Die Musik setzte ein, und Caroline konzentrierte sich auf die komplizierte Schrittfolge, wobei sie im stillen Caimen dafür dankte, daß er sich die Zeit genommen hatte, ihr das Tanzen beizubringen. Sie wußte, daß Bradford sie beobachtete, doch sie schwor sich, nicht zu ihm hinzusehen. Als man sie auf das Parkett geführt hatte, hatte sie beschlossen, ihn von nun an vollkommen zu ignorieren. Schließlich war er, wie sie sich bestimmt zum fünfzigsten Mal in Erinnerung rief, einfach unerträglich. Ja, er wirkte wie ein Spartaner: hart, diszipliniert, streng. Aber wer interessierte sich schon wirklich für die spartanische Zivilisation? Schließlich war die schon lange ausgestorben!
Bradford beobachtete Caroline und faßte den Entschluß, nur noch abzuwarten, bis der Tanz zu Ende war. Als Brummell ihn fragte, was ihn derart faszinierte, deutete er mit dem Kopf in Carolines Richtung. Brummell folgte seinem Blick. Seine Augen leuchteten vergnügt auf, doch seine Miene blieb ausdruckslos, als er begann, Caroline nun ebenfalls zu beobachten.
Caroline war unglaublich erleichtert, als die Musik endlich verstummte. Der Viscount war ihr mehrmals auf die Zehen getreten, und nun schmerzten ihre Füße enorm. Doch bevor der ungeschickte junge Mann noch mehr Schaden anrichten konnte, gesellte sich Carolines Vater zu ihnen. Der Viscount vollführte noch eine großartige Verbeugung und wollte sich dann gerade umwenden und gehen, als er offenbar seine Meinung änderte. Mit einer raschen Bewegung packte er Carolines Hand beugte sich vor und drückte ihr einen geräuschvollen Kuß auf den Handrücken.
Caroline ermahnte sich streng, nicht zu lächeln, aber es fiel ihr schwer. Der Viscount zog ab, nicht jedoch ohne vorher zu versprechen, bald wiederzukommen.
»Bitte sei nicht beleidigt, Vater, aber ich finde, die Engländer sind wirklich ein etwas merkwürdiges Volk. Wieso sind sie immer so nervös und hektisch?« fragte Caroline, als sie dem davoneilenden Viscount hinterhersah.
»Da du selbst Engländerin bist, werde ich es nicht als Beleidigung auffassen«, erwiderte ihr Vater grinsend.
Und dann stand plötzlich er vor ihr, Brummell an seiner Seite. Da die beiden ihr den Weg und die Sicht versperrten, konnte sie sie unmöglich
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