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Im Tempel des Regengottes

Im Tempel des Regengottes

Titel: Im Tempel des Regengottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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nahenden Abends. Auf seinen Wink hin hatte Mabo ihnen ein rasches Mahl bereitet, Hühnerschlegel und gestampfte Bohnen, dazu wieder blechern schmeckendes Wasser und knochenhartes Brot. Vergeblich hatte Robert herauszufinden versucht, aus welchem Versteck der Mestize diese Speisen jeweils hervorzauberte, und ebenso ergebnislos hatte er Paul gefragt, was genau Stephen unten am Fluß vorbereite: Auf beide Fragen erhielt er keinerlei Antwort, Paul sah ihn nur reglos an, als hätte er seine Frage nicht verstanden oder überhaupt keine Laute vernommen, und schließlich hatte er es aufgegeben.
    Mit einer zweiten Fackel, die er in einer weiteren Wandnische fand und an der ersten entzündete, war Robert nochmals die Wände im vorderen Saal abgeschritten, erfüllt von Ehrfurcht, aber auch von wachsender Sorge, daß Paul sich zu ihm gesellen und eine Probe seiner Entzifferungskünste verlangen könnte, denn die Wände waren nicht nur mit Zeichnungen bedeckt, sondern auch mit Glyphen in langen Reihen. Aber Paul war im hinteren Saal geblieben, zusammengesunken auf der Steinbank, die ihren Ausmaßen nach als fürstliches Ehebett hätte dienen können, während Robert lange im vorderen Saal verharrte und im Licht der emporgereckten Fackel das Bildnis des rüsselnasigen Regengottes studierte.
    Aus irgendeinem Grund flößte ihm diese Fratze Grauen ein. Sicherlich auch wegen der geschändeten Leichen, die nach ihrem Vorbild hergerichtet worden waren, aber mehr noch, dachte er, wegen der finsteren, ganz und gar abgründigen Bosheit, die von dem Götzen ausging. Wieder und wieder mußte er auch an die Mayajungen denken, deren Leben unten am Wehr zerquetscht, einfach abgedrückt wurden. Mit einer Geschwindigkeit und Gleichgültigkeit, dachte er, wie in der Manufaktur seines Vaters Tuche geschnitten, Stoffetzen ausgesondert wurden, und er fragte sich, ob diese mechanische Grausamkeit nicht noch ärger sei als die archaische Bosheit des rüsselnasigen Götzen, da sie einzig um des Geldes willen geschah. Letztlich mußten diese Kinder nur deshalb sterben, »ein Dutzend die Woche«, wie Paul gesagt hatte, damit das britische Empire jederzeit genügend Bretter für seine Schränke, Kutschen oder Särge erhielt.
    Zu seinem Erstaunen führte Paul sie nicht etwa zum vorderen Einlaß und in den Wald zurück, sondern tiefer in den inneren Saal hinein, wo eine Blendwand in perfekter perspektivischer Täuschung einen dahinterliegenden Durchlaß verbarg. Paul schritt hindurch, in der einen Hand die Fackel, mit der anderen seine Fuchsstute und Stephens Rappen am Zügel ziehend. Hinter ihm gingen Mabo und Henry, die anderen Pferde führend, während Robert nur seine Tasche und die zweite Fackel zu tragen hatte und allein den kleinen Zug beschloß.
    Hinter dem Durchlaß begann ein abwärtsführender Gang, mit großen, flachen Stufen und so breit, daß selbst zwei Pferde nebeneinander Platz fanden. Die Hufschläge hallten im Gewölbe, das exakt behauen war und sich vielleicht zwei Fuß über ihnen verkragte, eine Flucht ebenmäßiger Steinbögen, wie Catherwood sie in Uxmal gezeichnet hatte. Aber dieses Gewölbe hier, dachte Robert, war weit gewaltiger und ausgedehnter.
    Mittlerweile war ihm auch klar geworden, woher ihnen vorhin, oben im zweiten Saal, jener Luftzug entgegengeweht war. Der Gewölbegang zog sich offenbar durch den ganzen Berg, bis hinunter zum Fluß, was möglicherweise bedeutete, daß der gesamte Berg, der sich bis tausend Fuß über dem Tal erhob,
    ein riesiger, verschütteter Gebäudekomplex war. Unter solchen Gedanken wandelte er wie im Traum hinter den anderen her und blieb immer wieder stehen, um eine Inschrift oder eines der Bildnisse anzuleuchten, die in die Gewölbewand eingemeißelt waren.
    Stephen würde unten am Fluß alles vorbereiten, hatte Paul gesagt, aber was genau das bedeuten sollte, war im dunkeln geblieben. Doch zweifellos hatte er ihre weitere Flucht geplant, und Robert sagte sich schaudernd, daß er in Kürze wieder aufsitzen und auf seinem widerborstigen Wallach durch Sumpf und Unterholz würde reiten müssen, gepeinigt von Mücken und peitschenden Ästen und von den königlichen Soldaten gejagt. Aber weit entsetzlicher als alle diese Plagen schien ihm der Gedanke, daß sie von jenen Mayakriegern verfolgt werden könnten, die das Massaker im Victoria Camp angerichtet und die Leichname nach dem Bildnis des Regengottes verstümmelt hatten. Bei der bloßen Vorstellung, den Kriegern dieses finsteren Gottes in die

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