Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual
beschissener christlicher Heiliger. Oder ein beknackter Teufel. Das hier ist ein heiliger Ort. Hier hat es wirklich eine Auferstehung gegeben. Und Blood Frenzy ist die Band, die für die Götter die Musik macht.«
Als die Spitze des Messers sich nur noch ungefähr zwanzig Zentimeter vor seinem Gesicht befand, griff Luke nach dem Krug hinter sich, holte weit aus und schmetterte das schwere hölzerne Gefäß direkt gegen Fenris’ Schädel.
Ganz kurz huschte über das Gesicht des Jungen ein Ausdruck völliger Überraschung. Gleichzeitig hallte ein grässliches Geräusch durch den Raum, als würde eine leere Kokosnuss geknackt. Fenris ließ das Messer fallen, taumelte zwei Schritte zurück und schloss die Augen. Auf einmal sah er aus wie ein kleines Kind, das gleich in Tränen ausbrach.
Luke holte erneut aus und schlug den Krug zum zweiten Mal gegen den Kopf seines Gegners. Er zerbrach nicht. Aber er gab ein dumpfes Geräusch von sich und prallte vom Schädel ab. Fenris fiel zur Seite und ging in die Knie. Luke hob den Krug zum dritten Mal.
Aber bevor er wieder zuschlagen konnte, bewegte sich etwas Schweres und Nacktes blitzschnell durch das Zimmer. Er drehte sich danach um und schnappte nach Luft.
Die irrwitzig verzerrte Fratze der fetten Häsin stürzte so schnell auf ihn zu, dass ihm der Atem wegblieb. Zwei Patschhändchen schlugen ihm ins Gesicht. Mindestens dreimal, bevor er den Krug fallen ließ und es ihm gelang, die Handgelenke des Mädchens zu packen. Ihre Arme fühlten sich irgendwie teigig
an. Die Häsin stampfte auf und trat nach ihm. Sie taumelten zur Seite wie ein groteskes betrunkenes Paar, das einen aberwitzigen Tanz vollführt.
Er schrie laut auf, als ihre Fingernägel über seine Wangen kratzten. Es fühlte sich an, als hätte sie ihm die Augen ausgekratzt. Eine heiße salzige Flüssigkeit verzerrte seinen Blick. Oder war das Blut?
Es gab eine längere Pause, in der nichts weiter geschah. Das Einzige, was er wahrnahm, waren die Umrisse der Häsin, die langsam vor seinen Augen verschwammen. Und dann schoss eine kleine Faust nach vorn und traf genau die offene Wunde an seiner Stirn.
53
Luke kam auf dem schmutzigen Fußboden wieder zu sich und fragte sich, wo er war. Er sah auf, dorthin, wo eine aufgebracht kreischende Stimme voller Wut und Verzweiflung auf ihn einschrie.
Er sah den großen Mann namens Loki, der die Häsin gegen seine Brust presste. Er hielt sie zurück. Damit sie sich nicht auf ihn stürzte.
Fenris kroch nicht weit entfernt von ihm auf allen vieren auf die Tür zu und stöhnte vor sich hin.
Das Mädchen kreischte weiter wie von Sinnen. In seinem Kopf klang es, als würde Glas zerspringen. Luke schmeckte Blut in seinem Mund. Sein Kopf war kalt und nass, weil die Wunde wieder aufgeplatzt war. Er betastete sein Gesicht. Dann hielt er die Hände vor seine kraftlos blinzelnden Augen. Sie waren knallrot.
Nichts konnte das Mädchen besänftigen, sie schrie weiter und trat mit ihren kleinen Füßen in seine Richtung. Bis Loki sie hochhob und zur Tür trug. »Ich will ihn aufschlitzen«, rief sie auf Englisch und wandte Luke ihr wutverzerrtes Gesicht zu. »Lass mich, Loki! Ich will ihn aufschlitzen!«
»Nein! Dann bleibt ja nichts von ihm übrig. Denk doch mal nach. Denk mal nach«, wiederholte er mit seinem fremdartigen Akzent. »Denk doch mal nach.«
Fenris knickte ein und stützte sich auf seine Ellbogen, sein Gesicht fiel auf den Boden. Das schwarze Haar breitete sich um seinen Kopf aus. Er fing rhythmisch an zu stöhnen, es klang, als wimmerte ein Kind vor sich hin. Luke konnte seine Rippen erkennen und starrte auf die Wirbelknochen, die sich unter der blassen Haut abzeichneten. Das waren ja Kinder, dachte er. Kinder. Völlig verstört, geschädigt.
Das um sich schlagende Mädchen wurde müde. Sie zappelte nur noch schwach, entspannte sich dann und fing an zu schluchzen. »Ich will aber, ich will aber«, sagte sie.
»Jetzt noch nicht«, sagte Loki und hielt sie ganz fest.
54
Wenn die Häsin das Messer von Fenris genommen hätte, wäre er jetzt tot. Er würde auf dem schmutzigen Zimmerboden liegen, langsam verbluten, und keiner würde ihm helfen. Ein Bild zuckte durch sein Gehirn. Er sah seine eigene Leiche vor sich, aufgeschlitzt und zu einer einzigen klaffenden Wunde ausgebreitet. Er schloss die Augen und versuchte, diese grauenerregende Vision aus seinem Kopf zu bannen.
Unten ging der Streit weiter. Im Erdgeschoss. Gelegentlich wurde Lokis Stimme lauter, wenn es
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