Im Tunnel: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)
würden sie die Bewachung des Labors verstärken. Dann konnte man den Plan, dorthin vorzudringen, endgültig begraben.
Der naheliegendste Weg führt nicht unbedingt am schnellsten zum Ziel. Tolik steckte noch der erste missglückt e Versuch in den Knochen. Damals hatte er auch gedacht, alles sei ganz einfach, und sich dann am Friedhof der Lubjanka wiedergefunden.
Das gute Essen und die Wärme am Feuer hatten Tolik dösig gemacht. Sein geschundener Körper dürstete nach Schlaf.
Kaum waren ihm die Augen zugefallen, als er einen wohlbekannten Korridor erblickte, an dessen Decke eine einzige Lampe brannte. Er ging zur Tür des Labors und lauschte. Drinnen war kein Laut zu hören.
Tolik drückte die Tür auf und trat ein . A lle Betten bis auf eines – sein eigenes – waren leer. Dort lag ein Proband, der bis über den Kopf zugedeckt war. Nur seine Arme schauten heraus, waren jedoch seltsamerweise nicht mit Draht am Bettgestell fixiert. Daneben blubberte leise eine Infusion.
Hatte Korbut etwa einen Freiwilligen gefunden? Vermutlich irgendeinen Kommunisten, der um der hehren Ziele willen bereit war, sich genetisch verändern zu lassen.
Tolik trat an das Bett und schlug vorsichtig die Decke zurück. Die Freiwillige war Jelena. Ihr dunkelblondes Haar wallte um das mit Wachstuch bezogene Kopfkissen und sah aus wie ein Heiligenschein. Ihr Gesicht wirkte friedvoll. Genau wie damals bei Kolja, kurz bevor er begonnen hatte, den Assistenten zu würgen.
Als die junge Frau Toliks Anwesenheit bemerkte, schlug sie die Augen auf.
»Da sind Sie ja. Gut, dass Sie gekommen sind, um sich zu verabschieden. Nachdem Sie fortgelaufen waren, hat der Professor verlangt, dass ich Ihren Platz einnehme. Mir blieb nichts anderes übrig.«
Jelenas Augen bekamen diesen unverwechselbaren silbrigen Glanz. Sie schlug die Decke zurück, stand ruckartig auf, riss sich die Infusionsnadel aus dem Arm und stürmte an dem verdutzten Tolik vorbei aus dem Raum.
Kurz darauf kam Nikita herein . A ls er Tolik sah, schüttelte er missbilligend den Kopf.
»Gehen wir. Ich sagte doch, dass dort dein Freund auf dich wartet.«
Das musste ein Albtraum sein. Nun gut – er hatte auch schon schlimmere gehabt.
Tolik folgte Nikita. Gemeinsam betraten sie den Raum mit den zwei Türen. Drinnen trafen sie auf Kolja, der damit beschäftigt war, sich die Erde vom Leib zu klopfen . A ls er damit fertig war, wandte er sich Tolik zu.
»Wer hat dir angeschafft, mich zu begraben? Wir sterben doch nicht. Etwas, das nicht lebt, kann nicht sterben. Seinen eigenen Freund zu verscharren – unglaublich . A ber gut, für dieses Mal verzeihe ich dir. Gib die Flosse, Genosse!«
Konsterniert betrachtete Tolik den ihm entgegengestreckten Arm und wunderte sich: Seit wann hatte Kolja eine Tätowierung in Form eines Fingerrings?
»He, gib die Flosse, Genosse!«
Erst jetzt realisierte Tolik, dass er nicht mehr schlief und es nicht Kolja war, der ihn zum Händedruck aufforderte. Neben Mischa stand ein mittelgroßer Mann, der ausgesprochen exzentrische Klamotten trug: grünes Sakko, superweite rote Hose und schnieke Halbstiefel mit hohem Absatz. Ein grauer, mehrfach um den Hals geschlungener Strickschal war die Krönung der Geschmacksverirrung. Wo zum Teufel hatte er das in der Metro alles aufgetrieben? Allein die Hose musste ein Vermögen gekostet haben. Der kahl geschorene Kopf und die unruhige Mimik in seinem Ganovengesicht machten es schwer, das Alter dieses Pfaus zu schätzen.
»Nenn mich Krabbe – das ist mein Spitzname«, sagte der seltsame Typ. »Mein richtiger Name braucht dich nicht zu interessieren. Ich habe ihn selbst schon so gut wie vergessen.«
Mit einem verlegenen Lächeln drückte Tolik die Hand des Fremden.
»Anatoli Tomski. Und mein Spitzname ist … nun, sagen wir: Tom. Okay?«
»Okay, Tom. Du brauchst also eine neue Fleppe?«
Tolik nickte. Daraufhin erging sich Krabbe in einem ausgedehnten Monolog, der so mit Jargonwörtern aus der Gaunersprache gespickt war, dass Tolik Mühe hatte, ihm zu folgen. Die Quintessenz der Litanei lief darauf hinaus, dass ein anständiger Ausweis mindestens fünf Magazine Patronen kostete. Der Preis war im Voraus zu entrichten. Bei Bezahlung im Nachhinein musste ein entsprechendes Pfand hinterlegt werden.
»Wenn du mich durch die Belorusskaja schleust, bekommst du sechs Magazine«, versprach Tolik.
Während Krabbe überlegte, umkreiste er wie besessen das Feuer und schnitt dabei abenteuerliche Grimassen. Nicht nur seine Mimik
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