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Im Visier des Verlangens

Im Visier des Verlangens

Titel: Im Visier des Verlangens
Autoren: Courtney Milan
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den schmalen Waldweg entlang. Zweige und Blätter schlugen Ned ins Gesicht wie Peitschenhiebe.
    „Ruhig, meine Gute!“, versuchte er es und „Still“. Aber keines seiner besänftigenden Worte drang durch das Rauschen der Blätter und das Knacken brechender Äste und Zweige ins Bewusstsein des entsetzten Tieres.
    „Halt!“, schrie er schließlich.
    Als hätte das Pferd endlich begriffen, grub es plötzlich im vollen Galopp alle vier Läufe in den Waldboden und hielt jäh an. Das alles geschah so schnell, dass Ned nicht reagieren konnte. Gleichzeitig erschien ihm der Ablauf so verlangsamt, dass er jedes einzelne Blatt der Bäume zu erkennen glaubte. Und dann gab es einen Knall wie ein Pistolenschuss, als ein Ast brach. Ned war zumute wie einem Betrunkenen, um dendie Erde sich drehte, dann schlug er mit dem Oberkörper gegen den Hals des Pferdes, das ins Stolpern geriet. Ihm blieb keine Zeit, aus dem Sattel zu springen, er versuchte nur, seine Stiefel aus den Steigbügeln zu befreien, blieb mit einem Absatz hängen und schlug wild um sich, als der schwarze Waldboden auf ihn zuraste. Im nächsten Moment rollte das Pferd auf ihn. Neds gefangenes Bein wurde unter dem Gewicht des Pferderumpfes eingequetscht. Er versuchte, es freizubekommen, und zog daran. Das Bein verdrehte sich.
    Erneut zog er, konnte sich endlich befreien und brachte sich rückwärts kriechend in Sicherheit, während seine Ellbogen sich in das nasse Erdreich gruben. Es war vorbei. Er hatte überlebt. Seine Lungen brannten, als er die Luft keuchend ausstieß, die er offenbar angehalten hatte.
    Ihm war schwindelig, immer noch drehten sich Baumwipfel über ihm wie ein Kreisel, spitze Zweige pieksten in seinen Rücken. Ein paar Schritte entfernt kam das Pferd wiehernd mit einiger Mühe auf die Beine.
    Gottlob, dachte Ned im ersten Moment, hat die Stute den bösen Sturz offenbar ohne größeren Schaden überstanden. Doch ehe er sich selbst auf die Füße raffen und nach den Zügeln greifen konnte, scheute sie wieder, ging hoch und sprengte im vollen Galopp davon, bis die Hufschläge in der Ferne verklangen.
    Na, fabelhaft. Das hatte ihm gerade noch gefehlt.
    Aber es war keine Katastrophe. Das Tier kannte sich in der Gegend aus, denn Ned war schon öfter mit ihr nach Berkswift geritten. Sie würde an den Stallungen zur Ruhe kommen und bei Tagesanbruch von den Knechten versorgt werden. Ned war gezwungen, ihr zu Fuß die fünf Meilen bis an sein Ziel zu folgen, auch das war zu schaffen, wenn auch mühsam. Sobald sein Herzschlag und sein Atem sich beruhigt hatten, wollte er losmarschieren. Auf der Rückfahrt nach London, mit Lady Harcroft und ihrem Säugling in der Kutsche, würde er die Verzögerung wieder aufholen. Es bestand also kein Grundzur Sorge; er würde rechtzeitig vor Prozessbeginn die Stadt erreichen.
    Ned machte wieder einen tiefen beruhigenden Atemzug. Und mit diesem Atemzug machte er eine seltsame Feststellung: Sein Bein schmerzte. Zunächst war es nur eine mentale Diagnose, ehe der Schmerz wirklich einsetzte. Und dann spürte er ihn wie Höllenfeuer.
    Er entsann sich verschwommen, dass sein Bein sich im Sturz gedreht hatte, der Pferdekörper mit Wucht aufgeprallt war. Ihm war, als füllten seine Lungen sich beim Einatmen nicht mit Luft, sondern mit ätzender Säure, und spitze Glasscherben stachen gleichsam in seinen Knöchel. Dazu mischte sich ein dumpf pochender Schmerz durch den Druck, den sein Stiefelschaft auf das schwellende Bein ausübte.
    Qualvoller als die brennenden Schmerzen war allerdings dieses unheilvolle Gefühl in seiner Magengrube. Das war kein gutes Zeichen. Ganz und gar nicht. Vielmehr war er so entsetzt, dass er es nicht über sich brachte, daran zu denken, was soeben geschehen war. Er konnte nur handeln.
    Seine Handschuhe waren beim Aufprall auf dem steinigen Waldboden zerrissen. Auf die Hände gestützt, raffte er sich langsam auf die Knie, dann auf ein Bein. Mit dem verletzten Fuß berührte er leicht den Boden, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Der glühende Schmerz, der ihm ins Bein schoss, verursachte ihm Übelkeit.
    „Beim Gekreuzigten!“, zischte er zwischen den Zähnen.
    Das Fluchen nahm ihm weder die Schmerzen noch machte es die Wahrheit erträglicher.
    Er wollte es nicht zugeben, wollte nicht den verdammten Stiefel ausziehen, um die Stelle zu ertasten. Er wusste es ohnehin, spürte es wie tausend Dolchspitzen, wenn er den Fuß nur eine Winzigkeit belastete.
    Im Sturz hatte er sich das Bein
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