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Im Westen geht die Sonne unter

Im Westen geht die Sonne unter

Titel: Im Westen geht die Sonne unter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Anderegg
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das Gespräch mit der Schokoladenstimme beenden.
    »Ich wollte nur wissen, ob es neue Erkenntnisse zur Lithium-Blase gibt«, antwortete sie lustlos, »und das haben Sie bereits beantwortet«.
    »Nicht ganz. Wir fahren heute Nacht eine nächste Auswertung. Vielleicht überrascht uns das Modell diesmal. Ich halte Sie auf dem Laufenden.«
    »Tun Sie das. Danke.«
    Müde legte sie auf. Das Modell – ach ja, das verflixte Modell. Sie wischte den unangenehmen Gedanken beiseite. Lieber konzentrierte sie sich auf die Flucht aus Bobs Reich. Das weiche Bett tauchte wie ein flüchtiger Blick ins Paradies vor ihrem inneren Auge auf. Statt rauer Scotch würde auch eine Handvoll Aspirin genügen, sagte sie sich und gab sich einen Ruck, um nicht gleich einzuschlafen.
     
    Bristol, UK
     
    Ungewohnte Stille empfing Ryan, als er sich dem Haus an der Dove Street näherte. Schon am Morgen hatte sich Mr. Meriwether nicht blicken lassen. Er begann sich Sorgen zu machen um den sonst so zuverlässigen Kater. Er leerte den Briefkasten, warf den ganzen Müll ungeöffnet in den Papierkorb, den er aus praktischen Gründen direkt neben der Haustür aufgestellt hatte und stieg die Treppe hoch zu seiner Wohnung. Aus alter Gewohnheit öffnete er den Kühlschrank, starrte kurz in die beruhigende Leere. Milch war noch da und eine alte Flasche ›Bristol Stout‹. Im Allgemeinen genügte die Auswahl, aber heute brauchte er etwas zwischen die Zähne, denn er hatte eine lange Nacht vor sich. Das staubtrockene Puten-Sandwich vom Mittag hatte sich längst in seine Atome aufgelöst. Im ›Scotchman‹ neben der Uni auf den Output zu warten wäre entschieden intelligenter gewesen. Bei einer Runde Pool vielleicht. Aber das konnte er Mr. Meriwether nicht antun. Wo blieb der verflixte Kater?
    Der Big Ben schreckte ihn aus seinen Gedanken. Jedes Mal erschrak er, wenn die Türklingel anschlug, so laut, als wohnte er im Glockenstuhl.
    »Endlich sind Sie da, Doktor«, keuchte seine Hauswirtin atemlos.
    »Mrs. Harper, was ist denn los?«
    Sie musterte ihn misstrauisch, schüttelte den Kopf und sagte vorwurfsvoll: »Sie sehen gar nicht gut aus, junger Mann.«
    »Vielen Dank«, lachte er. »Ist es das, was Sie mir sagen wollten?«
    »Sie haben wieder nichts gegessen, stimmt’s?«
    Er zögerte einen Sekundenbruchteil zu lange mit der Antwort.
    »Mein Gott, ich wusste es«, rief sie aus. »Warten Sie, ich bin gleich zurück.«
    »Mrs. Harper ... «
    Sie war schon unten. Er hörte ihre Wohnungstür quietschen. Nach einer Weile kehrte sie schwer atmend mit einem Tablett zurück, auf dem ein Topf mit wunderbar duftendem Irish Stew stand, der für eine ganze Familie gereicht hätte.
    »Aber, Mrs. Harper, das ...«
    »Keine Widerrede. Hinsetzen. Essen. Einen Teller werden Sie ja wohl haben.«
     Sie war eine gute Köchin, das hatte er schnell gelernt, als er hier eingezogen war. Die Lammstücke zerfielen von alleine auf seiner Zunge und die Kartoffeln hatten noch Biss. Genüsslich verschlang er die unerwartete Köstlichkeit. Mrs. Harpers Blicke wurden mit jedem Biss freundlicher und zufriedener. Sie hatte sich ernsthafte Sorgen um ihn gemacht. Wie seine Mutter früher, nur kochte sie besser.
    »Haben Sie Mr. Meriwether gesehen?«, fragte er, als er satt war.
    »Deswegen bin ich doch hier. Ich muss Ihnen unbedingt etwas zeigen. Sie werden staunen.«
    »Was hat der Kater denn angestellt?«
    Sie stand an der Tür und winkte mit einem verschwörerischen Gesichtsausdruck. Oder war es Spott, der in ihren Augen glänzte? »Kommen Sie«, drängte sie.
    Sie führte ihn in den kleinen Hinterhof. In einer Ecke stand eine längst verlassene, halb zerfallene Hundehütte. Lachend zeigte sie auf das Holzhäuschen und meinte:
    »Hier hat sich Ihr Kater eingenistet. Sehen Sie selbst.«
    Er trat näher. Sofort begrüßte ihn das herzzerreißende Jammern, das er seit bald zwei Tagen vermisst hatte. »Mr. Meriwether, was ist ...« Der Rest blieb ihm im Halse stecken, als er einen Blick in die Hundehütte hinein wagte. »Aber – das – ist unmöglich«, stammelte er höchst verwirrt. Sein Mr. Meriwether lag auf einem fleckigen Jutesack, und an seiner Brust säugten drei oder vier winzige Katzenkinder. So genau konnte er sie nicht zählen, denn sie waren ständig in Bewegung, auf der Suche nach der ergiebigsten Zitze.
    »Ihr Kater hat Junge geworfen, wie man sieht«, grinste Mrs. Harper. Ihr Gesicht strahlte, als hätte sie selbst den gescheiten Doktor übertölpelt.
    »Ein Kater kann keine

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