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Im Westen geht die Sonne unter

Im Westen geht die Sonne unter

Titel: Im Westen geht die Sonne unter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Anderegg
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lächelte zufrieden. Lithium konnte er abhaken. Das Modell hatte sich einmal mehr glänzend bewährt.
    Er wechselte zum Übersichtsbild. Gerüchteküche nannte er diese Darstellung. Sie zeigte äußerst komprimiert und übersichtlich auf einer Seite, in welchen Märkten das Modell ungewöhnliche Entwicklungen festgestellt hatte. Die meisten Zonen der Grafik waren farblos. Einige gelbe und orange Flecke deuteten auf mögliche, aber noch nicht sehr wahrscheinliche Unregelmäßigkeiten hin. Interessant waren die roten Zonen, und davon gab es zu seiner Überraschung ein paar ganz neue. Mit der Maus zog er ein Rechteck um die eng beieinander liegenden roten Gebiete und drückte auf die Zoom-Taste. Das Bild zeigte nun den ausgewählten Bereich mit detaillierten Angaben zu Märkten, Börsenplätzen und Terminen. Was er sah, verschlug ihm für einen Augenblick den Atem.
    »Heiliger Strohsack!«, rief er zum zweiten Mal an diesem Abend. Erregt sprang er auf, ging ein paar Schritte auf und ab. Das durfte nicht wahr sein. Sein Modell musste sich irren. Zu dumm, dass es sich bisher stets bewährt hatte. Kopfschüttelnd setzte er sich wieder hin und begann, jede einzelne Störzone genau zu untersuchen. Eine Stunde später wusste er, dass sein Modell auch diesmal einwandfrei gearbeitet hatte. Ratlos betrachtete er immer wieder die unglaublichen Zahlen und Kurven. Er fragte sich, was er damit anstellen sollte. Die nüchternen Zahlen und Pixel auf seinem Bildschirm waren reines Dynamit. Wenn die Prognosen stimmten, standen gewaltige Umwälzungen auf den Devisenmärkten bevor, wenn nicht, wären er und sein schönes Modell Geschichte. Das Ergebnis der Berechnungen zeigte eine eindeutige Tendenz des Goldpreises auf ein höheres Niveau. So hoch wie nie zuvor, mit einer Wahrscheinlichkeit von 80 Prozent in den nächsten zwei Monaten. Das allein wäre schon bemerkenswert, doch was Ryan schockierte, war das Muster der Preisentwicklung. Es war nicht das Muster einer Finanzblase. Es war das gleiche Muster, das die Neodym-Preise vor der Mountain Pass Katastrophe gezeigt hatten. Kein Preisanstieg mit anschließendem Zerfall war zu erwarten, sondern ein konstant höheres Niveau, eine Art Phasenübergang, als reduzierten sich die weltweiten Goldreserven plötzlich in großem Stil. Das war noch nicht alles. Gleichzeitig sagte das Modell eine massive Zunahme von Pfund-, Euro-, Yen- und Dollarverkäufen gegen Schweizer Franken, Norwegische Kronen und Währungen Rohstoff exportierender Länder voraus.
    Er starrte lange auf die immer gleichen Bilder, wartete auf eine Erklärung, doch das Orakel schwieg beharrlich. Schließlich wandte er sich ab, streckte gähnend seine Glieder und wünschte sich nur noch in sein weiches Bett. Eine Sache musste er noch erledigen, auch wenn ihm der Sinn nicht danach stand. Er musste der Journalistin mitteilen, dass sich seine Aussagen zur Lithium-Blase bestätigt hatten. Widerwillig wählte er die Nummer des ›Journal‹. Nach ein paar Summtönen meldete sich der Anrufbeantworter. Gott sei Dank, dachte er und sagte nur: »Ich habe Neuigkeiten.« Nicht die intelligenteste Nachricht, aber er war zu müde, sich darüber zu ärgern. Oder wünschte er insgeheim, dass sie zurückrief?
    »Blödsinn«, knurrte er und löschte das Licht

Kapitel 5
     
    Weymouth, Dorset, UK
     
    Auch an diesem Freitagabend wurde es laut im ›Black Dog‹ an der Saint Mary Street mitten im beschaulichen Küstenstädtchen Weymouth. Keine betrunken grölenden Idioten sorgten diesmal für den Heidenlärm, sondern Ryans und Jessies nicht mehr ganz nüchterne Freunde. Jessie saß für einmal als Gast im Pub und badete regelrecht in der guten Stimmung.
    »Nun komm schon, Ryan. Heraus mit der Sprache«, rief Fred, der schon den ganzen Abend mit dem Bierglas in der Hand um den Tisch tanzte. »Du hast uns doch nicht ohne Grund zu diesem Gelage eingeladen. Oder soll ich euch die Geschichte mit den Mäusen erzählen?«
    Ein kollektives Stöhnen war die Antwort. Jeder kannte die schrägen Geschichten des schwierigen Fred.
    »Um Himmels willen, nur das nicht«, seufzte Jessie lachend. Sie warf Ryan einen fragenden Blick zu und stand auf, als er nickte. Sie nahm Fred das Glas aus der Hand. Mit ihrem fast leeren Glas stieß sie wiederholt dagegen, um sich mit der improvisierten Tischglocke Gehör zu verschaffen. »Ryan und ich haben euch etwas zu sagen«, begann sie, als die Gespräche abebbten.
    »Hört, hört«, grinste Fred.
    »Klappe! Setzen.«
    Gehorsam

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