Im Zauber des Mondes
mir.«
Sie sagte nichts, sondern starrte ihn nur an.
»Wirst du ruhig sitzen bleiben?« Er verstärkte den Druck an ihren Handgelenken leicht. Sie konnte sich noch gut an die Kraft in diesen Händen erinnern, und sie nickte zustimmend. »Sehr gut.«
Er richtete sich auf und betrachtete sie wie jemand, der vor einem ausgesprochen schwierigen Problem steht. Caitlyn erwiderte seinen Blick herausfordernd, obwohl sie innerlich vor Angst zitterte. Aber in den Jahren auf der Straße hatte sie gelernt, ihre Angst nicht zu zeigen. »Du bist also ein Mädchen? Was machen wir denn jetzt mit dir?«
Sein Ton verriet ihr, daß er mit sich selbst gesprochen hatte, aber sie bezweifelte nicht, daß ihm die Antwort darauf bald einfallen würde. Verzweiflung stieg in ihr auf. Sie mußte einfach entkommen, irgendwie.
»Ich habe ganz schön Hunger«, sagte sie nachgiebig und senkte die Augen, damit er die Verzweiflung darin nicht sähe und Verdacht schöpfen würde. »Wäre es möglich, noch etwas zu essen zu bekommen, bevor wir weitersprechen?« Sie konnte seine Augen auf ihrem gesenkten Kopf spüren und wagte einen kurzen Blick nach oben. Er musterte sie mit gerunzelter Stirn. Plötzlich wußte sie, daß gerade diese Nachgiebigkeit sie verraten würde, und sie nahm ihren ganzen Mut zusammen. Sie hob den Kopf und sah ihm gerade in die Augen. »Oder wollt ihr mich hier vielleicht verhungern lassen?«
Das klang schon eher nach O'Malley, dem Dieb, und es wirkte. Er lächelte sogar. »Nein, natürlich nicht. Mrs. McFee hat bestimmt noch etwas vom Abendessen übrig. Aber du bleibst hier im Zimmer, während ich es hole, und ich werde abschließen. Ich möchte mich noch mit dir unterhalten.« Damit verließ er das Zimmer, und sie hörte, wie sich der Schlüssel im Schloß drehte. Caitlyn atmete auf. Sie hatte ja nur gewollt, daß er sie für eine Weile allein ließ. Sicher, die Tür war abgeschlossen, aber da war auch noch ein Fenster. Es war zwar klein, aber sie war ziemlich schmal. Es würde kein Problem sein.
Vorsichtig schlich sie durchs Zimmer, bemüht, auf keine knarrenden Dielen zu treten. Der linke Fensterflügel öffnete sich mit einem lauten Quietschen, und ihr stockte der Atem. Gleich darauf wußte sie, warum er sie so bereitwillig allein gelassen hatte. Das Fenster war von außen mit einem stabilen
Fensterladen verschlossen. Sie drückte fest dagegen, aber da war nichts zu machen. Verzweifelt preßte sie ihre Stirn gegen das Holz. Was sollte sie jetzt tun? Sie mußte hier weg! Plötzlich sah sie durch den Spalt zwischen den beiden Flügeln einen dunklen Streifen. Der Riegel! Wenn sie etwas finden würde, was dünn genug war, konnte sie ihn vielleicht aufstoßen! Aber sie mußte sich beeilen, Connor konnte jeden Moment zurückkommen.
Schnell durchstöberte sie das Zimmer und fand schließlich einen schmalen silbernen Brieföffner. Sie eilte zum Fenster zurück. Die Schneide war etwas zu breit, aber sie schlug mit der flachen Hand darauf, bis sie durch war. Vorsichtig schob sie den Brieföffner nach oben, aber es gelang ihr erst beim dritten Versuch, den Riegel hochzuheben. Klappernd fiel er gegen das Holz. Schnell stieß sie mit zitternden Fingern den Laden auf und schwang ein Bein über das Fensterbrett. Mit einem kurzen Blick überzeugte sie sich davon, daß der Hof leer und verlassen dalag. Es war ziemlich hoch, aber sie hatte schon Schlimmeres überstanden.
Sie hielt sich mit den Händen am Fensterbrett fest und ließ sich dann fallen. Wie eine Katze landete sie auf den Füßen und kauerte sich zusammen. Niemand schien sie gesehen zu haben. Sie sah sich noch einmal um, dann lief sie los. Wohin, das wußte sie noch nicht. Nur erst einmal weg hier.
7
Jetzt versteckte sie sich schon seit zwei Tagen. Gruppen von Arbeitern durchsuchten die Umgebung nach ihr. Connor persönlich war in der Nacht ihres Verschwindens zusammen mit Mickeen und Cormac die Straße abgeritten, auf der sie von Dublin gekommen waren, und auch gestern hatten sie die Straße zweimal kontrolliert. In jener Nacht hatte sie sich in der alten Burg versteckt, und jetzt traute sie sich nicht mehr heraus. Sie hatte Angst, von Connor oder einem der Suchtrupps aufgegriffen zu werden. Es war besser, abzuwarten, bis die Suche nach ihr nachgelassen hatte.
Nur schade, daß sie Willie zurücklassen mußte. Aber sie
konnte es nicht wagen, mit ihm Kontakt aufzunehmen, darauf würden die d'Arcys nur warten. Außerdem wußte er mittlerweile bestimmt schon, daß sie
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