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Im Zeichen der Roten Sonne

Im Zeichen der Roten Sonne

Titel: Im Zeichen der Roten Sonne
Autoren: Federica de Cesco
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Achtungsbeweisen, die der Erbin des Königreiches gebührten, nichts als kühle Gleichgültigkeit.
    An jenem Morgen also war der ganze Hofstaat im hellen Sonnenlicht versammelt. Rund um den Innenhof war die Leibgarde mit blanken Schwertern aufgezogen. Das Königswappen glänzte, farbige Standarten wehten im Wind. Edelleute, Würdenträger und Höflinge zeigten sich im schönsten Schmuck. Die Offiziere erschienen in silber- und bronzebeschlagener Prunkrüstung. Auf den Ehrenplätzen, zu Füßen der Herrscherin, knieten lächelnd die Priesterinnen in ihren rot-weißen Gewändern, während die Dienerschaft sich neugierig erregt auf den Treppen drängte.
    Bald vernahmen wir, wie jenseits der Wälle das verwunderte Gemurmel des Volkes anschwoll, je näher die Abgesandten von Nimana der Burgfestung kamen. Nach und nach mischte sich ein merkwürdiges Geräusch unter das Stimmengewirr: Es war, als ob ein Hagel von Kieselsteinen auf den Weg prasselte. Dieses Geräusch ließ uns alle aufhorchen. Die Gespräche verstummten. Jeder starrte gebannt auf das Tor, wo gleich die königlichen Gesandten erscheinen würden. Und während ich still und aufrecht neben meiner Mutter saß, spürte ich mein Herz immer heftiger gegen die Rippen schlagen. Ich wusste, dass mein Schicksal eintreten würde …
    Die Standartenträger durchschritten das Tor. Und dann erschien ein Ungeheuer: ein Tier, so groß und stark wie ein Hirsch! Die Ohren, gerade und spitz, glichen denen eines Hundes. Sein schwarz-weiß geflecktes Fell glänzte in der Sonne. Die dunklen Augen funkelten, der lange buschige Schweif fegte über den Sand. Während es in stolzer Anmut über den Hof tänzelte, wippte seine Mähne wie Meeresschaum über dem hochgewölbten Hals. Das ungewöhnliche Geräusch - so bemerkten wir jetzt - rührte von dem Aufstampfen seiner rot lackierten Hufe.
    Ein Mann - nein, ein Junge - führte das Ungeheuer an einem ledernen Riemen, der an einem schmalen Eisenstück im Maul des Tieres befestigt war. Furchtlos schritt er neben ihm her, während eine Welle der Erregung die Anwesenden durchlief. Die Menschen, die in den vordersten Reihen standen, unterdrückten den beschämenden Wunsch zurückzuweichen. Die Frauen stießen kleine Schreie aus, die Männer umfassten ihre Schwertgriffe fester. Alle schubsten und drängten sich, um besser sehen zu können.
    Erst nachdem ich mich vom Anblick des außergewöhnlichen Tieres erholt hatte, blickte ich auf die Männer, die es begleiteten. Die beiden Gesandten, die sich mit ihrem Gefolge näherten, trugen die typische Kleidung der Tungusen: kurze Jacken mit Flügelärmeln, Pluderhosen und Lederstiefel mit geschwungener Spitze. Der eine war in Moosgrün gekleidet, der andere in Indigoblau. Brustpanzer aus lackierten Schuppen klirrten auf ihren mächtigen Oberkörpern. Ihre bronzenen Helme waren geschmückt mit weit geschwungenen Hörnern. Dünne Barthaare hingen ihnen zu beiden Seiten der Oberlippe herab bis zum Kinn. Das gefiel mir nicht, denn bei uns galt es als beschämend für einen Mann, seine Barthaare wachsen zu lassen. Dennoch waren sie von eindrucksvoller, stattlicher Erscheinung. Ihr Gefolge trug ebenfalls wertvolle Rüstungen, Helme und metallene Beinschienen. Sie hatten verwegene, finstere Gesichter. In ihren breiten, mit Gold geschmückten Ledergürteln steckten ein Langschwert und ein kleines stumpfes Messer, ähnlich wie die, die bei uns hergestellt wurden. Zahlreiche Diener vervollständigten den Zug.
    Unterhalb der Halle, wo die Königin saß, blieben die Fremden stehen und verneigten sich. Man senkte die Standarten. Die Dienerschaft warf sich in den Staub und verharrte regungslos. Das Ungeheuer scharrte mit dem Vorderhuf im Sand. Ich fragte mich, ob dies seine Art zu grüßen war. Es hatte den mächtigen Kopf gesenkt und blies dem vor ihm stehenden Jungen seinen Atem in den Nacken.
    Mein Blick heftete sich auf ihn. Er war schlank, geschmeidig und ernst. Doch in seinen Augen lag etwas Heiteres; sein Gesicht mit den schmalen Schläfen, der feinen geraden Nase strahlte Ruhe aus. Der Wind zerzauste sein weiches braunes Haar. Seine Kleidung war aus brauner, grob gewebter Seide und sehr einfach. Obwohl er barfuß ging, war weder in seiner Haltung noch in seinem klaren, tiefen Blick die Demut eines Untergebenen zu verspüren.
    Die Königin
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