Im Zeichen des Drachen: Thriller (German Edition)
konnte.
»Irgendwelche Direktiven aus Washington?«, fragte Rutledge.
»Dort ist noch keiner wach.« Wie auf ein Zeichen sahen alle Delegationsmitglieder auf ihre Uhren. Die Botschaftsangehörigen hatten das natürlich schon getan. Über ihrer Hauptstadt war die Sonne noch nicht aufgegangen. Welche Entscheidungen dort gefällt wurden, würde sich in den nächsten vier Stunden herausstellen. Niemand hier würde in den nächsten Stunden viel zum Schlafen kommen, denn sobald irgendwelche Entscheidungen getroffen waren, hätten sie darüber zu befinden, wie sie umgesetzt werden konnten und wie die Amerikaner die Position ihres Landes der Volksrepublik vermitteln sollten.
»Schon Ideen?«, fragte Rutledge.
»Der Präsident wird bestimmt nicht begeistert sein«, bemerkte Gant in der Annahme, dass er genauso viel oder wenig wusste wie alle anderen Anwesenden. »Seine spontane Reaktion wird Verärgerung sein. Die Frage ist, wirkt es sich auf das aus, weswegen wir hier sind? Ich persönlich halte dies für möglich, je nachdem, wie unsere chinesischen Freunde auf die Nachricht reagieren.«
»Wie werden die Chinesen reagieren?«, fragte Rutledge den Botschafter.
»Ich weiß nicht, Cliff, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass uns ihre Reaktion Anlass zu Begeisterung geben wird. Sie werden den ganzen Zwischenfall als Einmischung in ihre internen Angelegenheiten betrachten und entsprechend schroff wird ihre Reaktion ausfallen, schätze ich. Im Grunde genommen werden sie nichts anderes sagen als: ›Dumm gelaufen.‹ Das wird in Amerika und bei der Regierung eine sehr emotionale Reaktion auslösen. Sie verstehen uns nicht annähernd so gut, wie sie es gern glauben. Sie missdeuten ständig unsere öffentliche Meinung und haben bisher noch nicht gezeigt, dass sie etwas dazugelernt haben. Ich mache mir aufrichtig Sorgen.«
»Tja, dann ist es unsere Aufgabe, sie in dieser Angelegenheit ein wenig an der Hand zu nehmen«, dachte Rutledge laut nach. »Die Sache könnte sich durchaus positiv auf unsere Mission hier auswirken.«
Hitch stellten sich die Haare auf. »Es wäre ein gravierender Fehler, Cliff, zu versuchen, Kapital aus der Sache zu schlagen. Am Besten lassen wir sie darüber ganz für sich allein nachdenken. Der Tod eines Botschafters ist keine Lappalie«, machte Hitch den Anwesenden noch einmal klar, falls sie es noch nicht begriffen haben sollten. »Und das umso mehr, als er von einem Vertreter ihrer Regierung getötet wurde. Wenn Sie ihnen das allerdings unter die Nase reiben, Cliff, wird ihnen das ziemlich sauer aufstoßen, und ich glaube nicht, dass wir das anstreben sollten. Ich halte es für das Beste, sie um eine ein- bis zweitägige Unterbrechung der Verhandlungen zu bitten, damit sie das Ganze in Ruhe für sich klären können.«
»Das wäre von unserer Seite ein Zeichen von Schwäche, Carl«, entgegnete Rutledge kopfschüttelnd. »Ich glaube, Sie täuschen sich. Ich finde, wir sollten Druck auf sie ausüben und ihnen zu verstehen geben, dass es in der zivilisierten Welt Gesetze gibt, und dass wir von ihnen erwarten, sich danach zu richten.«
»Was ist das nur wieder für ein Wahnsinn?« Fang Gan verdrehte die Augen zur Decke.
»Wir sind noch nicht sicher«, erwiderte Zhang Han San. »Anscheinend ein Geistlicher, der Ärger gemacht hat.«
»Und ein idiotischer Polizist, der nichts Besseres zu tun hat, als gleich zur Schusswaffe zu greifen. Er wird natürlich bestraft.«
»Bestraft? Wofür? Dass er die Gesetze zur Eindämmung des Bevölkerungswachstums durchzusetzen versucht hat? Dass er einen Arzt gegen die Angriffe eines gwai geschützt hat?« Zhang schüttelte den Kopf. »Sollen wir Ausländern gestatten, sich auf derartige Weise über unsere Gesetze hinwegzusetzen? Nein, Fang, auf gar keinen Fall. Nie und nimmer werde ich zulassen, dass wir so unser Gesicht verlieren.«
»Zhang, was ist das Leben eines kleinen Polizeibeamten gegen die Stellung unseres Landes in der Welt? Der Mann, den er erschossen hat, war ein Botschafter , Zhang, ein Ausländer, der in unserem Land von einem anderen Land akkreditiert …«
»Was heißt hier Land?«, fiel Zhang ihm ins Wort. »Von einer Stadt , mein Bester, und nicht einmal das – von einem Bezirk Roms, der kleiner ist als Qiong Dao!« Damit bezog er sich auf die Jadeinsel, auf der einer der zahlreichen von den Kaisern errichteten Tempeln stand und die nicht viel größer war als das Gebäude selbst. Dann fiel ihm ein Ausspruch Josef Stalins ein. »Wie
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