Im Zeichen des großen Bären
müssen. Die Zustimmung und das Lob der Professoren bestätigten ihm, daß er sich richtig entschieden hatte.
Seine Wirtin war freundlich, das Essen zufriedenstellend, die Mädchen waren nicht zimperlich. Sie hießen Sue und Jill und Sandra und Cherry, und Jim wurde allmählich ein Meister im Küssen und im Abschätzen weiterer Chancen.
Er sprach nun häufig Französisch, legte sich einen Strohhut zu und eine gepunktete Fliege. Im Sommer stellte er in den Grünanlagen der Place du Dominion eigene Bilder aus. Manchmal kaufte jemand, und Jim konnte seine schmale Kasse ein wenig aufbessern.
Als er an einem diesigen Tag neben dem Standbild der Queen Victoria mit einem prächtigen Sonnenuntergang und zwei Kühen auf der Weide auf Käufer lauerte, ritten einige Leute vorüber. Jims Herz setzte fast aus. Mabel war dabei. Schöner denn je.
Sie blickte aus ihrer majestätischen Höhe auf Jim und seinen Sonnenuntergang hinunter. Und diesmal zeigte sie Interesse. Sie zügelte ihr Pferd, machte ihren Begleiter aufmerksam, stieg von ihrem Apfelschimmel und ließ den unsympathischen Burschen das Tier halten.
Sie stellte sich vor Jim auf und stemmte die Hände in die Hüften. In ihrem Reitdress sah sie aus wie eine kräftige Amazone. »Sind Sie nicht der kleine Rockwell?« fragte sie.
»Nein. Ich bin der große Rockwell.« Jim fand sie hübsch, aber eigentlich nicht ganz so liebenswürdig, wie er sie sich vorgestellt hatte.
»Und wieso sitzen Sie hier mit Bildern, anstatt Biber zu züchten?«
Sieh an, sie wußte also über die Familie Rockwell Bescheid.
»Weil mein Vater die Biber züchtet. Ich male höchstens welche.«
»Hoffentlich können Sie Biber besser malen als beispielsweise Kühe oder Sonnenaufgänge.«
»Es ist ein Sonnenuntergang.« Allmählich wurde er leicht ungehalten. Eine schnippische Person. Er erhob sich zu seiner imponierenden Größe und sah auf sie hinunter. Nicht sehr, denn sie war selber groß, aber doch wenigstens ein bißchen.
»Ich habe Biber zu Hause, Sie sollten mich einmal besuchen«, schlug er frech vor. Bei manchen Mädchen hatte man mit solcher plumpen Masche Erfolg. Natürlich nicht bei Mabel Powell. Aber er hatte das Bedürfnis, sie zu ärgern.
Sie ließ den Blick an ihm hoch- und hinunterwandern. Dann hatte sie sich entschieden. »Sagen Sie mir schnell Ihre Adresse!«
Jim stotterte seine Anschrift, fast wäre sie ihm vor Staunen nicht eingefallen.
Sie nickte, ohne zu lächeln. »Morgen, vier Uhr. Stellen Sie Wein kalt.« Damit verließ sie ihn, schwang sich auf ihren Apfelschimmel und entschwand, ohne ihn noch eines Blickes zu würdigen.
Jim hätte nun glücklich sein müssen. Sein Weihnachtsengel hatte Notiz von ihm genommen. Es stand sogar ein leichter Erfolg ins Haus. Wenn sie kam!
Doch statt jubelnder Vorfreude stellte sich Beklemmung ein. Jim machte zum erstenmal in seinem Leben die Erfahrung, daß es Wünsche gibt, die besser nicht erfüllt werden. Daß man Träume braucht. Und daß aus einer Schwärmerei nur selten eine Liebe wird. Ernüchterung ist unvermeidbar.
Mabel erschien pünktlich. Sie wirkte gelassen wie bei einem Geschäftsbesuch. Sie studiere Physik an der französischsprachigen Universität, berichtete sie. Sie schlug die Beine übereinander beim Sitzen, so daß Jim ihre Strumpfbänder sehen konnte. Er faßte sich ein Herz und küßte sie. Sie schien es zu mögen.
In dieser Phase ihrer Beziehungen stellte Jim ernüchtert fest, daß seine angebetete Mabel auch nicht anders war als Jill und Sue und Sandra und Cherry. Ein nettes Girl, das ihn nicht erzittern ließ.
Sie trafen sich noch einige Male, dann fand sie ihn heimlich doch recht anstrengend, und er fand sie ein wenig langweilig. Sie trennten sich in aller Freundschaft. Jims Herz und Gemüt waren wieder leer und aufnahmefähig.
In diesem Zustand trat Jim Rockwell seine Europareise an. Und das kam so:
Eines Tages erreichte ihn in Montreal ein Brief seines Vaters. »Es geht uns allen gut«, schrieb er, »wenn Du Dein Semester herum hast, würde ich Dich aber gern sehen. Ob Du es wohl einrichten kannst? Stell Dir vor: Oberst Powell war neulich bei uns, und zwar unangemeldet!«
Hier machte Jims Herz doch einen kleinen, ängstlichen Satz. Sollte Mabel gequatscht haben? Wollte der Oberst Jim etwa an die eheliche Kette legen? Sie bekam doch hoffentlich kein Kind?! So eine erfahrene Frau wie Mabel?!
Aber dann stand in seines Vaters Brief schon die beruhigende Zeile: »Es geht nämlich um Kitchener. Genau
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