Im Zeichen des Löwen: Kriminalroman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
eine Politikerin. Du bist auch noch nie eine gewesen. Du willst Macht um der Macht willen. Die Macht ist dein Aphrodisiakum. Das Problem ist, daß du nur dich selbst liebst. Zu etwas anderem bist du auch nicht fähig, weil du andere Menschen nicht leiden kannst. Verstehst du, was du angerichtet hast, als du der AZ den Kommissionsbericht zugespielt hast?«
»Aber ich …«. Ihre Stimme klang tonlos und metallisch. »… darin stand doch nur die Wahrheit !«
Plötzlich schien sie zu ihrer Überraschung eine Waffe gefunden zu haben, und sie griff mit beiden Händen zu.
»Aber du hast Angst vor der Wahrheit, Tryggve. Und du haßt Menschen wie mich, die glauben, daß wir eine freie Presse brauchen … die glauben, daß Meinungsfreiheit etwas anderes bedeutet als Stempel mit der Aufschrift ›streng vertraulich‹.«
Er schmunzelte. Er drehte sich mit seinem Sessel immer im Kreis, und konnte gar nicht aufhören zu lachen.
»Die Wahrheit! Und wer bist du, daß du, selbstherrlich und über alle andere erhaben, die Wahrheit verwalten willst? Glaubst du …«
Er warf den Kopf in den Nacken und wollte sich ausschütten vor Lachen.
»Glaubst du, die Wahrheit ist etwas, das du in kleinen Dosen deinen Pressekontakten überreichen kannst, damit sie dich ab und zu in den Himmel loben? Das habe ich mich schon oft gefragt, weißt du …«
Jetzt lachte er nicht mehr, seine Stimme zitterte, und er mußte sich alle Mühe geben, um nicht zu schreien.
»Ich habe mich schon oft gefragt, wie es kommt, daß eine so illoyale, unfähige, unbeliebte und intrigante Person wie du so unglaublich wenig Probleme mit der Presse hat. Warum sie dich nicht schon vor einer Ewigkeit fertiggemacht haben, war mir ein Rätsel. Und nicht nur mir. Aber jetzt weiß ich es. Du hast sie bezahlt. Mit Informationen. Ha!«
Er streckte energisch die Hand aus.
»Gib mir den Briefbeschwerer.«
Sie schlug die Augen nieder, zögerte kurz und stellte den Briefbeschwerer dann an die Tischkante. Er wäre fast auf den Boden gefallen, und Tryggve Storstein mußte aufspringen, um ihn zu retten.
»Ich hätte nie gedacht … ich hätte nie gedacht, daß ich einer Ministerin in meiner eigenen Regierung die Grundregeln der Demokratie erklären müßte. Begreifst du nicht, Ruth-Dorthe, daß du für das Gesundheitswesen Norwegens verantwortlich bist? Aber du hast deine Vollmachten mißbraucht, um dich an mir zu rächen. Du hast Informationen an die Presse durchsickern lassen, um mich kalt zu erwischen. Das ist ein so grober Vertrauensbruch, daß … ach, mir fehlen die Worte. Ein Vertrauensbruch mir und allen gegenüber, für die du deine Arbeit tun solltest. Und durch die Informationsbrocken, die du weitergereicht hast, hast du es geschafft, nicht nur die Würde der Regierung und das Vertrauen, das ihr entgegengebracht wird, zu erschüttern, sondern außerdem Angst zu schüren und Spekulationen Tür und Tor zu öffnen. Da hast du deine Wahrheit!«
Er schloß die Augen, und als er sie öffnete, hatte er wieder seine bekümmerte und leicht verlegene Miene. Das machte ihr Mut, und sie griff noch einmal an.
»Aber die Wahrheit kann niemals schaden! Nur durch sie …«
»Ich werde dir etwas über Wahrheit erzählen«, sagte er müde und mit leiser Stimme. »Natürlich muß sie ans Licht. In voller Breite. Also werde ich mich vor dem Parlament erklären. Nur so läßt sich … die Würde bewahren, die ein Fall von dieser Gewichtigkeit erfordert. Und inzwischen …«
Er beugte sich vor und wählte eine vierstellige Nummer.
»Bitte bringen Sie zwei Tassen Tee.«
Beide schwiegen, bis Wenche Andersen kam. Sie hatte kleine lila Flecken auf den Wangen, aber ihre Hände waren ganz ruhig, als sie Tassen und Untertassen verteilte und beiden Tee einschenkte.
»Zucker?« fragte sie Ruth-Dorthe Nordgarden. »Milch?«
Die Gesundheitsministerin gab keine Antwort, und Wenche Andersen hielt es für überflüssig, sie zu nötigen. Eilig verließ sie das Zimmer, konnte aber noch einen aufmunternden Blick ihres Chefs erhaschen, ehe sie die Tür schloß.
»Von jetzt an wirst du keinen einzigen wichtigen Entschluß fassen, ohne daß ich vorher befragt werde«, sagte er leise und verrührte einen Löffel Zucker in der goldbraunen Flüssigkeit. »Ist das klar?«
»Aber …«
Irgend etwas geschah mit Ruth-Dorthe Nordgarden. Ihr Gesicht sah jetzt anders aus, ihre Gesichtszüge schienen zu wachsen: der Mund schwoll an, die Nase wuchs, die Augen quollen aus dem eigentlich schmalen
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