Im Zeichen des Löwen: Kriminalroman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
hatten ausrichten können. Die dunklen Schatten unter den Augen wurden durch das grelle Licht noch betont, und sein Mund hatte einen traurigen, beinahe mürrischen Zug, den er während des gesamten Interviews beibehielt.
»Herr Storstein, trotz der tragischen Umstände sollten wir Ihnen wohl zum neuen Amt als Parteivorsitzendem gratulieren.«
Er murmelte etwas, das einem Dank ähnelte.
»Sie haben sich mit mir zusammen die Diskussion der Kollegen angehört. Werden Sie also am Freitag eine neue Regierung bilden?«
Tryggve Storstein räusperte sich kurz und nickte.
»Ja.«
Die Moderatorin war verwirrt durch diese kurze Antwort und fuchtelte heftig mit den Armen herum, ehe ihr eine neue Frage einfiel. Storstein blieb weiterhin knapp und wortkarg, zwischendurch wirkte er geradezu abweisend, und die Moderatorin mußte sich große Mühe geben, um die für das Interview angesetzte Zeit irgendwie zu füllen.
Hanne Wilhelmsen fing an, den Tisch abzuräumen. »Kaffee?«
»Ja, gerne.«
»Dann kannst du welchen kochen.«
Jetzt war im Fernsehen wieder der Mann mit der Nackenlocke zu sehen. Bei ihm saßen drei Zeitungsredakteure, die allesamt mit gewaltigem Pathos die derzeitige Lage kommentierten.
»Wieso soll in einer solchen Zeit eine neue Regierung gebildet werden, wenn gleichzeitig polizeiliche Ermittlungen stattfinden, deren Ergebnis sein könnte, daß sich in dem Personenkreis, aus dem sich die künftige Regierung zusammensetzen wird, auch Mordverdächtige befinden?« fragte der Moderator.
»Ich wünschte, die lernten endlich mal, nicht immer in Bandwurmsätzen zu reden«, sagte Hanne. Billy T. pfiff lautstark vor sich hin und machte sich an der Kaffeemaschine zu schaffen.
Der Redakteur von Dagbladet beugte sich eifrig vor und berührte mit dem Bart fast die Tischplatte.
»Es ist jetzt unerläßlich, daß die Polizei sich aus dem politischen Prozeß heraushält. Natürlich darf die Arbeit der Polizei nicht behindert werden, aber andererseits dürfen wir auch nicht in eine Situation geraten, in der die regierungsbildende Partei dadurch kastriert wird, daß die meisten Ministerkandidaten Birgitte Volter gekannt haben.«
»Typisch«, seufzte Hanne Wilhelmsen. »Niemand glaubt, daß es jemand aus ihrem Umkreis war, obwohl alle Statistiken zeigen, daß Mörder fast immer aus der engsten Umgebung ihrer Opfer kommen. Und alle, die in Norwegen über Macht verfügen, haben Birgitte Volter doch gekannt. Und es ist wohl zu gefährlich, den Statistiken zu glauben.«
Sie stand auf und schaltete den Fernseher aus.
»Musik?« fragte Billy T. optimistisch.
»Nein. Ich will Ruhe. Okay?«
Da es kein richtiges Sofa gab, legten sie sich einander gegenüber ins Doppelbett im Schlafzimmer. Hanne lehnte den Kopf an die Wand, hatte im Rücken einen abgenutzten, mageren Sitzsack und nippte am Kaffee, den Billy T. ihr reichte.
»Bah!«
Sie schnitt eine Grimasse.
»Was ist denn das? Asphalt?«
»Zu stark?«
Ohne ihre Antwort abzuwarten, holte er Milch aus dem Kühlschrank und gab einen guten Schluck in ihre Tasse.
»So. Und jetzt können wir uns noch eine Weile wachhalten.«
Er versuchte, im Bett eine bequeme Lage zu finden, aber es gab keine weiteren Kissen, und schließlich setzte er sich hin.
»Irgendwas ist los mit Ruth-Dorthe Nordgarden«, sagte er und kratzte sich am Ohr. »Verdammt, irgendwas hab ich da. Es tut manchmal verdammt weh.«
»Was meinst du mit irgendwas?«
»Naja, eine Entzündung oder so.«
»Trottel. Ich meinte Ruth-Dorthe Nordgarden.«
Billy T. betrachtete mit zusammengekniffenen Augen seine Zeigefingerkuppe, aber dort war rein gar nichts zu sehen.
»Komische Frau«, sagte er. »Jede Menge nervöse Handbewegungen und seltsame Grimassen. Aber gleichzeitig wirkt sie … kalt. Wie ein Fisch. Irgend etwas hat sie, wo ich gern weitermachen würde, aber ich weiß nicht, was es ist, und es gibt absolut keinen Grund zu der Annahme, daß sie am Mordabend in der Nähe des Büros der Ministerpräsidentin war.«
»War sie mit ihr befreundet?«
»Nein, das behauptet sie jedenfalls. Sie hat mir gesagt, sie hätten keinen privaten Kontakt gehabt. Verdammt komische Frau. Sie hat etwas … Unheimliches an sich. Ich werde total nervös, wenn ich nur im selben Zimmer bin wie sie.«
Hanne Wilhelmsen sagte nichts dazu. Sie wärmte sich die Hände an der dampfenden Tasse und starrte eine Kinderzeichnung an, die an der Pinnwand befestigt war. Ein ziemlich avanciertes Batmobil mit Flügeln und Kanonen.
»Und was
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