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Im Zeichen des Schicksals

Im Zeichen des Schicksals

Titel: Im Zeichen des Schicksals Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mina Hepsen
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sind, Sie zu unterhalten.«
    Es gab wirklich nichts, was man gegenüber Peterson sagen konnte, wenn man nicht alles nur noch schlimmer machen wollte. Bemüht, den neugierigen Blicken der übrigen Schüler im Kurs auszuweichen, sammelte ich meine Sachen ein und verließ mit glühenden Wangen den Raum. Immerhin war es zu dunkel, als dass irgendjemand meine Röte hätte bemerken können.
    Sobald ich das Klassenzimmer verlassen hatte, entdeckte ich die Sekretärin, die nur wenige Meter entfernt in dem ansonsten menschenleeren Flur stand. Sie trug den gleichen Nadelstreifenrock wie an meinem ersten Schultag, aber ihre Rüschenbluse war heute von einem sehr bleichen Grün.
    »Da sind Sie ja, Miss Smith!« Sie begrüßte mich mit ihrem bekannten höflichen Lächeln und griff sich verlegen an ihren Haarknoten. »Entschuldigen Sie, dass ich Sie aus dem Unterricht holen musste, es entspricht wirklich nicht unseren schulischen Richtlinien, Schulstunden zu unterbrechen.«
    »Das macht überhaupt nichts«, versicherte ich, als sie sich nun in Bewegung setzte, und folgte ihr. Von Peterson wütend angestarrt und von Ian ignoriert zu werden gehörte ohnehin nicht zu meinen ausgesprochenen Lieblingsbeschäftigungen. »Ich hoffe, es gibt kein Problem?«
    Wir hatten das untere Ende der Treppe erreicht, und die Sekretärin warf mir einen ermutigenden Blick zu. »Es ist bestimmt nichts Schlimmes, aber Ihre Mutter hat darauf bestanden, sofort mit Ihnen sprechen zu müssen.«
    Stolpernd blieb ich stehen. Meine Mutter? Offensichtlich lag da ein Irrtum vor. Die Sekretärin hatte nicht bemerkt, dass ich stehen geblieben war, also musste ich mich beeilen, um sie wieder einzuholen. »Entschuldigung, aber ich glaube, das muss ein Irrtum sein. Hat die Dame speziell nach mir gefragt? Ich meine, es muss doch noch andere Smiths an der Schule geben?«
    »Es gibt keine anderen Smiths an dieser Schule«, beteuerte die Sekretärin. Dann trat sie beiseite, um mich ins Sekretariat vorangehen zu lassen. »Das Telefon befindet sich dort auf dem Tisch, ich werde hier draußen warten, damit Sie sich ungestört bereden können.«
    Was um alles in der Welt ging hier vor? Ganz sicher war es ein Irrtum. Ich unterdrückte das nervöse Kribbeln in meinem Magen, trat ins Sekretariat und griff nach dem Hörer, der auf dem Tisch lag.
    »Hallo?«
    »Oh, mein Gott, Liebes! Es ist so schön, deine Stimme zu hören!«
    Die raue Stimme war unvertraut, aber die Art, wie sie Liebes sagte … als bedeute ich ihr etwas. Als kenne sie mich. Meine feuchte Hand begann von den Büchern zu rutschen, die ich mir an die Brust presste.
    »W…wer spricht da?«
    »Oh, Kleines, erkennst du meine Stimme nicht? Ich kann dir gar nicht sagen, wie schwierig das alles für uns war. Dein Vater und ich dachten schon, wir hätten dich für immer verloren, und dann haben wir dieses Bild gesehen, das die Polizei verteilt hat …«
    Ich versuchte hinunterzuschlucken, obwohl mir ein Kloß im Hals saß. Dein Vater und ich. Es konnte nicht sein. Es war unmöglich. Nicht nach all den Jahren. Die Bücher rutschten mir aus den Händen und landeten mit einem dumpfen Knall auf dem Boden. Mein Denken setzte aus.
    »Warum hast du mich verlassen?« Es war das Einzige, was mir einfiel. Die Frage, die ich mir eine Million Mal gestellt hatte, seit ich vor dem Waisenhaus abgesetzt worden war.
    »Ich habe dich nicht verlassen, Kleines! Wir haben Mittagessen gekocht, du bist rasch ein paar Sachen aus dem Laden holen gegangen, und dann bist du nie mehr zurückgekommen.«
    Du bist rasch ein paar Sachen aus dem Laden holen gegangen.
    Es war überraschend. Zum ersten Mal in meinem Leben empfand ich eine wirklich unbändige Wut. Meine Wut war unerbittlich und kalt, und ich wollte sie auf die Frau am anderen Ende der Leitung schleudern, um ihr wehzutun.
    »Wer sind Sie?« Mein Mund war trocken. »Warum tun Sie das?«
    Ein Moment der Stille, dann war die Leitung tot. Ich hörte es noch eine Weile lang piepen, dann legte ich auf. Nachdem ich mit zitternden Fingern meine Bücher aufgehoben hatte, ging ich aus dem Sekretariat in den Flur hinaus, wo es jetzt vor Menschen wimmelte. Die zweite Unterrichtsstunde begann, und glücklicherweise war die Sekretärin nirgends zu sehen.
    Den Kopf gesenkt schritt ich ins Gewühl hinein. Verschwommene Körper bewegten sich um mich herum, ein Nebel aus Blau und Braun. Ich konnte nicht denken. Ich hatte immer noch die Stimme der Frau in den Ohren. Ich habe dich nicht verlassen. Ich habe

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