Imagica
bildeten. Ein klarer Himmel erstreckte sich darüber, und die Meteoriten sorgten für ein atemberaubendes Schauspiel.
»Ich bekomme dabei immer ein wenig Angst«, sagte Monica 108
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in einem nicht sehr reizvoll klingenden Cockneydialekt.
»Wenn ich die Sterne sehe, meine ich.«
»Wieso?«
»Nun..., dann komme ich mir so schrecklich klein vor.«
Vor einer Weile hatte Sartori sie nach ihrem Leben gefragt, und Monica gab ihm ein paar magere biographische Auskünfte.
Zuerst erwähnte sie einen Jungen namens Trevor, der ihr seine Liebe gestanden hatte - um anschließend mit ihrer besten Freundin anzubändeln. Sie sprach von den Porzellanfröschen ihrer Mutter und verkündete den Wunsch, in Spanien zu leben, weil dort alle Leute viel glücklicher seien. Jetzt sagte sie plötzlich, ihr läge gar nichts an Spanien, Trevor oder den Fröschen aus Porzellan. Sie sei auch so glücklich.
Normalerweise wecke der Anblick der Sterne Furcht in ihr, doch an diesem besonderen Abend wolle sie fliegen. Sartori erwiderte, daß sie tatsächlich fliegen könnten, zusammen - sie brauche nur das Zeichen dafür zu geben.
Das Mädchen senkte den Kopf und seufzte.
»Ich weiß, was du meinst«, sagte es. »Ihr seid alle gleich.
Fliegen. So nennst du es also, wie?«
Er widersprach der jungen Damen und meinte, sie hätte ihn falsch verstanden. Es ginge ihm nicht ums Fummeln und den Rest. So etwas sei unter seiner Würde, und auch unter ihrer.
»Was hast du dann im Sinn?« fragte Monica.
Er antwortete ihr mit der Hand, und zwar so schnell, daß sie keine Einwände erheben konnte. Ein elementarer Akt, und er kam gleich nach jenem, an den das Mädchen gedacht hatte.
Das Opfer leistete keinen nennenswerten Widerstand und starb innerhalb einer knappen Minute. Oben zogen noch immer Sternschnuppen leuchtende Bahnen am Himmel, in der gleichen Vielzahl wie vor zweihundert Jahren: ein ungewöhnlicher Regen aus Himmelskörpern, der auf die Bedeutung des nächsten Abends hinwies.
Mit großer Sorgfalt begann Sartori damit, den Leichnam zu 1089
zerschneiden und aus den einzelnen Teilen die traditionelle Struktur zu formen. Dieses Ritual mußte bis zum Morgengrauen erledigt sein, und es blieben nur noch einige Stunden Zeit. Der ehemalige Autokrat sah dem nächsten Tag mit großer Hoffnung entgegen. Godolphins Leib war bereits kalt gewesen, als er ihn für seine Pläne verwendet hatte, und hinzu kam, daß sicher eine Menge Schuld auf ihm lastete. Mit einem so unattraktiven Körper konnte man nur sehr primitive Wesen aus dem In Ovo locken. Monicas Leiche hingegen war noch warm, und sie hatte nicht lange genug gelebt, um viele Sünden zu begehen. Ihr Tod würde einen wesentlich tieferen Riß im In Ovo schaffen als Godolphins Ende, und Sartori wollte die Öffnung nutzen, um eine ganz spezielle Spezies zu beschwören, einen Oviaten, mit dem er bis zum nächsten Abend zeigen wollte, wozu ein geborener Zerstörer imstande war.
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KAPITEL 53
Nach Montags Schilderungen rechnete Judith mit einer völlig leeren Stadt, und diesen Erwartungen wurde London nicht gerecht. Nach der Rückkehr des Jungen von der South Bank kam es zu Veränderungen. In den Straßen waren tatsächlich keine Touristen unterwegs, aber sie wurde nun zum Territorium einer anderen, noch viel exotischeren Art von Fremden: Auf den Bürgersteigen wanderten Männer und Frauen, die keine Ruhe gefunden und ihre Betten aufgegeben hatten. Fast alle von ihnen schienen allein unterwegs zu sein.
Was auch immer sie in die Nacht trieb - vielleicht war es zu schmerzhaft, um mit anderen Leuten geteilt zu werden.
Manche Passanten trugen Anzüge, komplett mit Krawatten; andere hatten gerade genug Kleidung übergestreift, um den Regeln des Anstands gerecht zu werden. Viele gingen barfuß oder mit bloßem Oberkörper spazieren. Und alle ließen sich Zeit, schlenderten dahin und richteten immer wieder den Blick gen Himmel.
Soweit Jude es erkennen konnte, bot das Firmament nichts Unheilvolles dar. Sie bemerkte einige Sternschnuppen, die in einer klaren Sommernacht alles andere als ungewöhnlich waren. Vielleicht nahmen jene Leute an, daß die Offenbarung von oben kam; vielleicht hatte irgend etwas in ihnen die irrationale Vermutung geweckt, daß eine derartige Offenbarung unmittelbar bevorstand. Das mochte der Grund dafür sein, warum so viele Leute um diese Zeit die Sterne beobachteten.
Diese Szenen wiederholten sich auch am Stadtrand: Männer und Frauen in Schlafanzügen und Nachthemden
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