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Immer verlasse ich dich

Immer verlasse ich dich

Titel: Immer verlasse ich dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Scoppettone
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gute Zeit dafür ist, und aufs Land ziehen,
eine sensationelle Bleibe erstehen und nie wieder Geldsorgen haben. Sie könnte
fast überall eine Praxis eröffnen, aber was würde ich anfangen? Brauchen die
Leute wirklich eine Privatdetektivin in High Falls, New York?
    »Hey, Schwester«, ruft mir die Frau von
der Bank her zu.
    »Was ist?«
    »Hast du eine Kippe?«
    »Bin Nichtraucherin.«
    »Fick dich selbst«, sagt sie.
    Nett. Ist das der Grund, weshalb ich
hierbleibe? Mindestens einmal am Tag werde ich verbal von Fremden mißhandelt,
an fast jedem Block um Geld angeschnorrt und von Geräuschen und Gerüchen
bedrängt, die jeden normalen Menschen schreiend in die Flucht schlagen würden,
ganz gleich wohin. Wer hat denn gesagt, ich sei normal?
    Als die Ampel umspringt, überquere ich
die Grove und komme an einem Zeitungsstand vorbei, wo mir wider Willen eine
Schlagzeile auffällt, die lautet » jfk
sagt ›teddy bricht mir das herz ‹«. Ich frage mich flüchtig, zu wem JFK
das wohl gesagt hat, und gelange zu dem Schluß, daß es vermutlich Elvis und
James Dean waren.
    Ich überquere die Seventh Avenue und
gehe ins Smilers, um mir einen Kaffee zu holen.
    Ein rundlicher Mann in den Dreißigern,
in einem Arbeitshemd, das fast bis zur Taille offen ist und aus dem Brusthaare
wie ein Waschbärpelz hervorquellen, erklärt dem gelangweilten Mann hinter dem
Tresen gerade, aus welchem Grund er keine Mayo auf seinem Sandwich will.
    »Milchprodukt. Mayonnaise ist ein
Milchprodukt. Milchprodukte sind tödlich.«
    O Mann.
    »Was wollen Sie denn sonst drauf haben?
Butter?«
    »Butter?« sagt der Mann, als hätte man
ihm Arsen angeboten. »Sind Sie verblödet?«
    Der Mann am Tresen kneift bedrohlich
die Augen zusammen. »Wie haben Sie mich genannt?«
    Es geht wieder los. Ich wünschte, es
gäbe etwas, das ich tun könnte, um die Situation zu entschärfen, aber ich weiß
es besser.
    »Ich habe Sie gar nichts genannt. Ich habe Sie gefragt, ob Sie verblödet sind.«
    Ich merke, daß der Mann am Tresen hier
nicht den feinen Unterschied sehen kann, denn er schaut die anderen Leute an,
als könne jemand es ihm vielleicht erklären. Niemand sagt etwas. Er leckt sich
über die Lippen. »Was haben Sie mich noch mal gefragt?«
    »Ich habe gefragt, ob Sie verblödet
sind.«
    Ich kann nicht fassen, daß der Kunde es
wiederholt hat. Weitere Leute sind hereingekommen und stellen sich murrend an.
    Der Mann am Tresen sagt: »Hör mal zu,
Arschloch, mach verdammt, daß du hier rauskommst, bevor ich noch die Cops
rufe.« Sein Gesicht läuft rot an.
    »Wie bitte?« Der Kunde ballt die Hände
zu Fäusten und stemmt sie in die Hüften.
    »Sind Sie taub?«
    »Taub?«
    »Ja, taub.«
    Der Kunde atmet, als liege er in den
Wehen. »Geben Sie mir erst Truthahn, Salat und Tomate auf einem Brötchen.«
    »Hör zu, du Schwuler, ich geh dir gar
nix. Mach, daß du hier rauskommst. Der nächste.«
    Es ist mein Glückstag, denn ich bin die
nächste. Sprechen oder nicht? Ich habe nicht die Gelegenheit.
    »Du Scheißirrer«, schreit der Kunde.
    »Lutsch doch meinen Schwanz.«
    Das werde ich nie verstehen: Er nennt
den Typ verächtlich einen Schwulen und will anschließend, daß er ihm einen
bläst! Wo ist da die Logik?
    »Ich würde deinen dreckigen Schwanz
nicht mal dann lutschen, wenn er der letzte auf dieser Erde wäre.«
    »Du würdest sogar den Schwanz von einem
Süßen lutschen.« Der Mann am Tresen geht auf die Lücke im Tresen zu, bereit zur
Verteidigung... Was will er verteidigen? Seinen Schwanz?
    Der Kunde spannt seine Brustmuskeln an,
weicht jedoch in Richtung Tür zurück. »Butter ist ein Milchprodukt, du beschissenes
Arschloch«, schreit er. Die Sehnen an seinem Hals schwellen an wie
Telefondrähte.
    Der Mann am Tresen, größer, jedoch
dünner als der Kunde, gibt ihm einen Schubs. »Raus, Schwanzlutscher!«
    »Lutsch du mich doch«, brüllt der Kunde
und schubst zurück.
    Sie kommen nicht von dem Thema los. Es
folgt ein Handgemenge, und das Wort Schwanz geht hin und her, als gäbe
es kein anderes Wort in unserer Sprache. Als der Kunde schließlich
hinausbefördert ist und der Mann am Tresen an seinen Platz zurückkehrt, wird
mir klar, daß ich bei diesem Mann, der den anderen einen Schwulen genannt hat,
nichts bestellen kann. Ja, ich kann sogar nie wieder hierherkommen.
    Ich sage zu ihm: »Sir, Sie haben einen
kindlichen Zugriff auf die englische Sprache, Sie sind homophobisch und einer
der primitivsten Menschen, dem ich je begegnet bin.« Ich mache auf

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