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Immer wieder Dezember: Der Westen, die Stasi, der Onkel und ich (German Edition)

Immer wieder Dezember: Der Westen, die Stasi, der Onkel und ich (German Edition)

Titel: Immer wieder Dezember: Der Westen, die Stasi, der Onkel und ich (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Schädlich
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BRD. […] Die Schwägerin des IM nahm (einen) Brief der […] zum Anlaß, um alle Informationen über Schwierigkeiten der Familie nach der Übersiedelung in die BRD als völlig unbegründet und falsch zu erklären. Dabei habe sie auch den IM angegriffen und behauptet, dieser hätte angeblich falsche Informationen verbreitet.« Die Mutter hätte »3 Stunden lang versucht zu beweisen, daß es ihnen in der BRD gut gehe, dabei aber lediglich bewiesen […], daß es ihnen doch nicht so gut gehe. Nach Ansicht des IM waren die gesamten Ausführungen seiner Schwägerin sehr widersprüchlich. Sie spiegelten keinesfalls die Lage seines Bruders wider und waren auch nicht auf dessen Initiative entstanden.
    Mit dem IM wurde nochmals beraten, unter welchen Voraussetzungen es möglich ist, weitgehend die Probleme seines Bruders in der BRD in Erfahrung zu bringen und dabei ständig mögliche Ansatzpunkte für eine spätere Rückkehr zu erkunden. In dieser Richtung kann eingeschätzt werden, daß sich der IM voll hinter diese Orientierung stellt.«
    Nochmals beraten? Mögliche Ansatzpunkte für eine spätere Rückkehr erkunden? Nur ein halbes Jahr nach unserer Ausreise? Ich kann es nicht glauben.

    Während die Eltern und die Schwester versuchten, auf dem Land heimisch zu werden, blieb ich in Hamburg bei Tante Betty, dem ehemaligen Kindermädchen. Sie hatte die Mutter jahrelang gehütet. Jetzt hütete sie mich. Sie war eine tüchtige Frau, resolut und doch herzlich. Ihr Mann war fünf Jahre in russischer Kriegsgefangenschaft gewesen. Kam als einer der letzten nach Deutschland zurück. Sie lernten sich kennen, flohen über die noch offene Grenze und heirateten. Sie eröffneten ein Geschäft und adoptierten Kinder. Sie hatten kaum Zeit für sich, geschweige denn für mich, die ich bis zum Ende des Schuljahres bei ihnen wohnen würde.
    »Das Persönliche haben wir zur Seite geschoben, jeder hatte zu tun. Es war alles eine große Anstrengung und auch viel Sorge, du warst ja gerade erst angekommen, und schon waren die Eltern weg. Es war zwar nur bis zum Sommer, aber dennoch. Du kanntest uns nicht, wir kannten dich nicht«, erzählt Betty.
    Ich lief mit im Alltag, oder im Garten um das Haus herum, nachmittags, Runde um Runde, und lernte für die Schule. Ansonsten? »Du warst da, mehr erinnere ich nicht. Hast wenig gesprochen, immer nur gelesen und durch die große Brille geschaut. Und mittags war eine Zugehfrau da, die hat das Essen gekocht.«
    An den Wochenenden fuhr ich zu den Eltern und der Schwester aufs Land. Dort gab es auch wieder ein Kätzchen, das nicht miaute, immer auf die höchste Tanne kletterte, nicht allein wieder herunterkam und eines Tages ganz verschwand. Dort konnte ich der Mutter zeigen, was ich in der DDR im Fach »Schulgarten« gelernt hatte. Wir knieten in den Beeten, gruben, hackten, jäteten. Die Mutter schrieb an die beste Freundin: »Ein Beet mit Küchenkräutern, Mohrrüben, Bohnen, Salat, Spinat, Gurken, Radieschen und weiß der Teufel nicht, alles haben Susanne und ich auch schon angelegt. Ich habe herausbekommen, daß wir bestimmt 10 Apfelbäume haben, 5 Sauerkirschbäume, 2 x Süßkirschen, 5 x Haselnüsse, Wein am Haus entlang und einen kleinen Privatwald.«
    Dorthin kam im Juli 1978 Uwe Johnson. Die letzte Begegnung war in Ost-Berlin auf dem ersten Treffen der ost- und westdeutschen Schriftsteller 1974 gewesen. Aber es gab Briefe. Am 29. November 1977, nur zwölf Tage vor unserer Ausreise aus der DDR, hatte er an den Vater geschrieben: »Über Ihre Umstände aber war ich fast immer unterrichtet. Denn als ich Günter Grass im April in New York traf, haben wir eine Stunde in einer Teestube an der Madison Avenue fast nur von Ihnen gesprochen, so auch im Sommer, und wiederum bei seinem fünfzigsten Geburtstag. Auch die Rauriser Nachricht [Johnson bezieht sich auf den Rauriser Literaturpreis, den der Vater 1977 erhalten hat] hatte ich an dem Tag, an dem sie fällig wurde, und erwartete, dass Sie sich die Sache da selber abholen.
    So habe ich auch angenommen, die zuständigen Behörden würden Sie, auf Weisung der Behörde für die Überwachung der Behörden, um das Verlassen der D. D. R. ersuchen, spätestens nach dem Erscheinen des Buches; sprach mit meinen Freunden und war mir einer Arbeit für Sie ziemlich sicher. Als dann wahrscheinlich wurde, dass man Ihren Anblick nicht entbehren wollte, kam mir die Vermutung, die ich gleichzeitig für absurd und möglich halte: nach so viel verabschiedeten

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