Imperator
aufgebaut. Sie verpesteten die Luft mit dem Gestank von bratendem Fleisch und verkauften Kleider, billigen Schmuck, gebrauchte Tonwaren, kleine Miniaturen der göttlichen Helena – zahllosen Tand. Hier gab es so gut wie nichts Ungebrauchtes und kaum etwas, was nicht im Umkreis von einer Meile hergestellt worden war.
Thalius sah, dass viel Tauschhandel getrieben, aber nur wenige Barverkäufe getätigt wurden – ein halbes Hähnchen gegen ein hübsches Stück Jade, ein Verpflichtungsschein für ein Tagewerk an einem Strohdach gegen eine viel benutzte, häufig ausgebesserte Amphore. Wer Bargeld besaß, hortete es außer Sichtweite der Steuereintreiber, aber Thalius war sich bewusst, dass wahrscheinlich auch die Eintreiber und ihre Spione jetzt auf dem Marktplatz ihre Runden drehten. In einer Zeit, in der sogar die Soldaten bereit waren, sich ihren Sold in Naturalien auszahlen zu lassen,
blieb ein Schwarzmarkt nicht lange schwarz. Thalius fühlte sich auf diesem Markt außerordentlich unwohl, wie eine Maus inmitten eines Schwarms von Mäusen, die sich wechselseitig von ihrem Müll ernährten.
Auch die Menschen um ihn herum waren unangenehm. Fast alle waren sie jünger als er – nun, daran war er seit Jahren gewöhnt –, und sie waren grob und unhöflich und ließen einander und erst recht alten Dummköpfen wie Thalius gegenüber jeglichen Respekt vermissen. Es war eine Zeit der Selbstsucht, dachte er, eine Zeit der schlechten Manieren. Und alles nur wegen Konstantin. Die arme, törichte, längst tote Aurelia hatte auf ihre bornierte Weise recht gehabt. Die Last der exzessiven Besteuerung, die gewaltige und immer noch wachsende Kluft zwischen Arm und Reich hatte die Gesellschaft auf jeder Ebene rauer gemacht. Aber was gab es für eine Alternative?
Dann stieß er jedoch inmitten des ganzen Plunders auf einen Tisch, auf dem sich Bücher stapelten. Er sah Schriftrollen, Haufen von Holztäfelchen, sogar ein paar eng beschriebene Wachstafeln. Thalius begann herumzustöbern; es war eine Erleichterung, sich einfach nur mit Büchern zu beschäftigen. Aber keines war ungebraucht, und manche sahen aus, als wären sie nicht einmal vollständig. Und sehr viele waren (für ihn) völlig uninteressante Abhandlungen über diverse Aspekte der christlichen Religion.
Es gab enorme Mengen von diesem Zeug. Seit Konstantins Übernahme des Christentums lieferten sich
seine Bischöfe und Theologen, trunken von plötzlicher Macht und plötzlichem Reichtum, heftige interne Kämpfe um Häresien und Gegenhäresien. Verwirrt von den faszinierenden theologischen Vielschichtigkeiten, lasen die Menschen heutzutage nur noch die Bibel und die dazugehörigen Erläuterungen – wenn sie überhaupt etwas lasen. Und während die Zahl der des Lesens und Schreibens Unkundigen wuchs und die des Lesens und Schreibens Kundigen sich in den Mystizismus zurückzogen, gebrauchte niemand mehr seinen Verstand, stellte niemand mehr Fragen, erinnerte sich niemand mehr daran, dass die Dinge einmal anders gewesen waren als jetzt.
Aber Thalius machte rasch einen Tacitus ausfindig, einen Plinius und einen Cicero, Überbleibsel eines Zeitalters, in dem die Menschen noch imstande gewesen waren nachzudenken, zu diskutieren und zu schreiben.
Er schaute ins Halbdunkel des abgedeckten Standes hinter dem Tisch. Ein Junge saß auf einem Schemel, kaute auf irgendeinem Kraut herum und beobachtete mit lasziv-lüsternem Grinsen ein Mädchen am Nachbarstand. Thalius schnippte mit den Fingern. »Du da!«
Der Kopf des Jungen fuhr zu ihm herum. »Sprichst du mit mir?«
»Ja, aber nur, weil es sich offenbar nicht vermeiden lässt, denn wie es scheint, bist du der Kommissionär dieser Bücher. Welcher Provenienz sind sie?«
Der Junge legte die Stirn in Falten. »Was?«
Thalius seufzte. »Verkaufst du diese Bücher? Woher stammen sie?«
»Aus ’ner Entrümpelung«, sagte der Junge. »Preise stehen dran.« Sein Latein war primitiv und grob vereinfacht. Er war vielleicht sechzehn, mit einer harten, unwirschen Miene. Thalius hatte keine Angst vor ihm, war jedoch irgendwie verwirrt. Dieser Junge war praktisch außerhalb der Gesellschaft aufgewachsen, die Thalius gekannt hatte, ohne jeden Zwang, die Regeln eines zivilisierten Diskurses einzuhalten. Welch eine Quelle für die Zukunft Britanniens und des Imperiums!
Thalius strich mit einem Finger über die Schriftrollen. Sie waren wahrscheinlich die Trümmer einer kleinen Tragödie; zweifellos hatten sie einmal einem Mitglied
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