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Imperator

Imperator

Titel: Imperator Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
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Gebäude umgaben das Forum. Karus führte Brigonius zu einer riesigen Halle, deren unfertige Mauern sich über die Köpfe der Kauflustigen erhoben. Sie gingen durch einen Säulengang und
über einen noch nicht überdachten Steinboden. Brigonius bemerkte Witterungsflecken auf dem Boden; offenbar befand sich das Gebäude schon eine ganze Weile in diesem halb fertigen Zustand.
    »Das wird die Basilika«, sagte Karus, »der Sitz der örtlichen Regierung, die aus den wichtigsten Persönlichkeiten der Stadt besteht – sie werden zum Beispiel die Steuern einnehmen und nach Londinium schicken, damit der Prokurator dort alles zusammenzählt.« Die Errichtung des Gebäudes ging nur in dem Maße voran, wie die finanziellen Mittel verfügbar waren, und dauerte darum sehr lange. »Trotzdem, das ist die Aufgabe unserer Generation. Unsere Väter haben die Stadt gegründet. Nun müssen wir sie erbauen.«
    Brigonius runzelte die Stirn. »Ich dachte, das bezahlt alles der Kaiser.«
    Karus schürzte die Lippen. »Wo denkst du hin. Wir genießen die Früchte der römischen Zivilisation, aber bezahlen müssen wir sie schon selbst. Was wir natürlich mit Freuden tun. Weißt du, Brigonius, wenn du reich werden willst, musst du mit deinem Vermögen umzugehen lernen. Zunächst einmal muss man reich sein  – je reicher, desto besser. Reichtum verleiht Macht und Status, und man kann als Mäzen auftreten. Zweitens darf man nicht mit seinem Reichtum protzen. Sein Geld ausgeben, das schon; dafür sorgen, dass die Leute wissen, dass man welches hat – aber auf zurückhaltende Art und Weise. Und man muss darauf achten, sein Vermögen in Projekte zu investieren, die dem öffentlichen Wohl dienen, so wie diese Basilika.
Paradox, nicht wahr? Aber Römer sind in vielerlei Hinsicht paradoxe Leute.«
    Während des kurzen Spaziergangs schien der Advokat Brigonius gegenüber aufgetaut zu sein. »Weißt du, Brigonius, ich bin kein großer Denker. Lebe für den Tag, sage ich, denn das Gestern ist ohne Belang, und vielleicht gibt es kein Morgen! Aber was mir an Severas Briefen gefallen hat, ist ihr perspektivisches Denken zusammen mit ihrem Geschichtsbewusstsein. Vergiss nicht, vor hundert Jahren hat es noch keine Stadt wie diese gegeben, kein Gebäude, das auch nur eine andeutungsweise Ähnlichkeit mit dieser dachlosen Basilika gehabt hätte, nirgends in Britannien. Sie sind alle wie Pilze aus dem Boden geschossen. Mein Großvater war Jäger. Er trug mit Vogelfedern ausgestopfte Schuhe aus Maulwurfsfell an den Füßen. Jetzt schau mich an, seinen Enkel! Ich bin Advokat. Meine Kanzlei befindet sich in einem mehrere Stockwerke hohen Häuserblock mit Fenstern aus Glas. Ich kaufe mein Essen bei Straßenverkäufern, bediene mit Hilfe meiner Münzen die Schlösser von Latrinen – und auf jede Münze ist eine erbauliche Botschaft des Kaisers geprägt. Irgendwie hat die Prophezeiung es Severa ermöglicht, all das – diese gewaltigen Veränderungen – zu sehen , als stünde sie ganz und gar außerhalb der Geschichte.«
    Aber Brigonius zupfte skeptisch an seinem Bart. Er dachte an seine Heimat im Norden, wo die Menschen ihr Vieh hüteten, wie sie es immer getan hatten – so wie auch die überwiegende Mehrheit der Menschen
im Süden noch immer in der Erde scharrten. Dieses aufgehäufte Wunderwerk aus Stein und Handelsgeschäften war ein fragiles, leichtes Kunstprodukt, dachte er, errichtet auf der Ausbeutung von Bauern, in deren Leben sich durch die Anwesenheit der Römer ansonsten so gut wie nichts änderte.
    »Und wenn alles genauso schnell endet, wie es entstanden ist – was dann?«
    Karus grinste. »Dann wäre ich in Schwierigkeiten. Ich bin nicht mein Großvater – ich könnte mir kein Paar Schuhe anfertigen! Aber es wird nicht enden, nicht wahr? Severas Prophezeiung bietet uns die Gewähr dafür.«
    »Karus, diese Sache mit Severa und dem Steinwall – sie ist eine Spielerin, weißt du, genau wie Lepidina sagt.«
    »Ich weiß. Aber in dem bevorstehenden Spiel ist die Prophezeiung ihre gezinkte Karte, denke ich.«
    Sie verließen das unfertige Gebäude, passierten ein großes, halbkreisförmiges Theater und kamen an einen weiten, mit Steinen gepflasterten Platz. Hier erhob sich das imposanteste Bauwerk von allen. Es war ein mit glänzendem Marmor verkleideter Tempel im römischen Stil, mit doppeltem Säulengang und Terrakotta-Dach. Eine Treppe führte zu einem offenen Innenraum hinauf, in dem Brigonius eine mächtige, überlebensgroße

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