In den Armen des Freibeuters: Erst wies sie ihn ab - doch dann entflammte seine Leidenschaft ihr Herz (German Edition)
wieder unauffällig in den Saal, um Jacks Eintreffen nicht zu verpassen. Captain Harding hatte vor zwei Tagen bei ihrem Vater vorgesprochen und ihnen Briefe und Geschenke aus Ostindien mitgebracht. Sie stammten von Charles Daugherty, einem jungen Mann, der mit seinem Vater vor über einem Jahr hier in Boston zu Besuch gewesen war. Mr. Daugherty hatte versucht, in Handelsbeziehungen zu der Boston Independence Trading Company zu treten, und Charles wiederum hatte in Jessica eine bevorzugte Gesellschafterin gefunden. Sie waren gemeinsam ausgeritten, Jessica hatte ihm Boston und die Umgebung gezeigt, und eines Tages hatte Charles begonnen, Jessica ernsthaft den Hof zu machen. Jessica hatte ihn zwar nicht gerade ermutigt, aber auch nicht abgewiesen, und es war zu einem zarten Kuss gekommen. Am Ende hatte Charles ihr einen Heiratsantrag gemacht. Er hatte sie am liebsten gleich mitnehmen wollen, aber Jessica hatte abgelehnt, und Charles war traurig abgefahren. Und nun war dieser Brief angekommen, in dem er ihr in den glühendsten Farben von Ostindien erzählte, das – nach seinen Worten – ebenso sehnsüchtig auf sie wartete wie er. Er bat sie, zu kommen und ihm die Gelegenheit zu geben, sie zu lehren, seine Heimat und ihn selbst zu lieben. Der Brief hatte Jessica ebenso gerührt, wie sie über die Geschenke erfreut gewesen war. Charles hatte für ihren Vater Tabak, für ihre Mutter einen Schal und für Jessica und ihre Schwester schöne, handbemalte Seidenstoffe, die man in Indien Sari nannte, geschickt. Die Stoffbahnen waren so lang, dass man daraus ein Kleid nähen konnte. Außerdem waren Bücher dabei gewesen, die über das Land erzählten, in dem Charles geboren und aufgewachsen war und in das er Jessica holen wollte. Charles war ihr als ein liebenswerter, sanfter junger Mann in Erinnerung geblieben, und sie hatte, bevor Jack gekommen war und all ihr Denken eingenommen hatte, oft und mit einer gewissen Zärtlichkeit an ihn gedacht.
Sie blickte sich während Hardings Erzählungen um und bemerkte Smithy, der sich in einem abenteuerlichen Aufzug durch die Leute drängte und mit grimmiger Entschlossenheit geradewegs auf Tante Alberta zuhielt und sie ansprach. Jessica grinste heimlich über Albertas Blick, mit dem sie ihn von oben bis unten musterte, dann ihr Kopfschütteln, sein breites Grinsen, und ein wenig später sah Jessica die zwei auf einer Bank sitzen, beide mit einem Glas in der Hand. Sie beobachtete sie eine Weile, hörte dabei Captain Hardings Schilderung zu und strahlte auf, als sie plötzlich Jacks ansichtig wurde, der mit langen, entschlossenen Schritten quer durch den Saal auf sie zukam.
Sie streckte erfreut die Hand nach ihm aus. »Wie schön, dass du endlich hier …« Sie verstummte, weil Jack sie nicht beachtete, sondern nur Harding fixierte. Sein Gesicht war kalt und ausdruckslos, aber Jessica sah das zornige Flackern in seinen Augen. Sie griff nach seinem Arm.
»Jack? Darf ich dir Captain Harding vorstell …«
»Nicht nötig«, unterbrach Jack sie schroff. »Dieser Gentleman ist mir zur Genüge bekannt.« Er sprach das »Gentleman« so abfällig aus, dass Jessica verblüfft den Atem anhielt.
Harding hatte Jack mit einem arroganten Blick bedacht und nickte nun Jessica zu. »Wir sind uns schon begegnet.«
»Tatsächlich?« Jessica, die befremdet die kaum verhüllte Feindseligkeit zwischen den beiden Männern spürte, sah besorgt zu Jack auf.
»Allerdings. Obwohl ich ihn ohne seinen Spazierstock kaum wiedererkannt hätte«, entgegnete Jack beißend. Er zog Jessica, während er sprach, von Harding fort und stellte sich so, dass er halb zwischen ihr und dem Engländer stand. »Captain Harding hatte die Güte, einige meiner Leute an Bord seines Schiffes zu nehmen. Manche fänden in diesem Zusammenhang den Ausdruck ›Schanghaien‹ allerdings angebrachter«, setzte er scharf hinzu.
Jessica wandte sich entsetzt Harding zu. Der hob bedauernd die Hände. »Ich bin nur ein kleiner Captain im Dienst der Krone, Miss Jessica. Ich habe meine Befehle und bekomme Leute zugewiesen. Und wir sind – muss ich zu meiner Ehre oder auch Schande zugeben – immer dankbar für gute Matrosen.«
Jessicas Verblüffung war einer rechtschaffenen Empörung gewichen. Jetzt begriff sie Jacks feindseliges Verhalten, und sie teilte seine Abneigung auf der Stelle. »Ihre Leute, Captain Harding, halten widerrechtlich amerikanische Schiffe auf und berauben sie sowohl der Mannschaften als auch der Ladungen!«
Hardings
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