In den Fängen der Macht
engster Freund und könnte es nicht ertragen, zu glauben, Alberton hätte Judith auf diese Weise hintergangen oder dass Alberton weniger ehrenhaft gewesen sein könnte, als er annahm. Er ist sehr loyal. Und …« Die Erinnerung an Casbolts Gesicht in dem wunderschönen sonnendurchfluteten Raum und an die Intensität der Gefühle, die seinen Körper erbeben ließ, als er auf der Kante seines Stuhles saß, entlockte ihr ein schwaches Lächeln. »Außerdem ist er selbst Judith ziemlich ergeben. Er würde alles tun, um sie vor weiterem Kummer zu schützen.«
»Eine Lüge eingeschlossen, um Albertons Schuld zu verbergen?«, drang er in sie.
»Das denke ich wohl«, gestand sie freimütig, nachdem sie ihre Worte abgewogen und als der Wahrheit entsprechend eingestuft hatte. »Er würde dies sicherlich auch tun, um den Ruf des toten Freundes zu schützen, auch um Judiths willen. Ich kann das verstehen, wenngleich ich nicht weiß, ob ich selbst es tun würde oder nicht.«
Monk riss die Augen auf. »Auf Kosten der Wahrheit? Du?!«
Sie sah ihn an, versuchte, in seinen Gesichtszügen zu lesen, jedoch nicht in der Absicht, ihre Antwort zu ändern.
»Ich weiß es nicht. Nicht alle Antworten müssen ausgesprochen werden. Manche sollten verschwiegen werden. Nur weiß ich nicht, welche.«
»Oh, doch, das tust du wohl.« Über sein Gesicht legte sich ein dunkler Schatten. »Das sind jene, die den Unschuldigen zum Leiden verurteilen und die zwischen den Menschen Mauern der Lügen errichten, auch wenn es Lügen des Schweigens sind.«
Sie verstand die Tiefe der Gefühle nicht, die in seinen Worten zum Ausdruck kam. Es war, als wäre er wütend auf sie, wie er es in der ersten Zeit ihrer Bekanntschaft gewesen war, als er sie für heuchlerisch, ja sogar für kaltherzig gehalten hatte. Vielleicht hatte sie sich damals tatsächlich noch vor vielem verschlossen und hatte vorschnell verurteilt, was sie nicht verstand und wovor sie Angst hatte. Aber doch jetzt nicht mehr!
Sie wusste nicht, wie sie die Barriere durchbrechen sollte. Sie konnte sie nicht greifen, nicht erfassen, aber sie wusste, dass sie existierte. Mit welchen Worten hatte sie diese Barriere nur geschaffen? Warum kannte er sie nicht besser, um sie so missverstehen zu können? Oder warum liebte er sie nicht genügend, um die Barriere selbst zum Einsturz zu bringen?
»Ich kenne die Wahrheit nicht«, sagte sie leise und starrte auf den Tisch. »Ich halte es für wahrscheinlicher, dass es mit Shearer zu tun hatte, ob er die Gewehre nun den Piraten, Trace, Breeland oder gar jemand anderem verkaufte, der sie erwerben wollte.«
»Ich kann Shearer nicht ausfindig machen«, sagte Monk mit ausdrucksloser Stimme. »Niemand hat ihn seit den Tagen vor den Morden gesehen.«
»Sagt das nicht schon eine Menge aus?«, fragte sie.
»Wäre er nicht auf irgendeine Art in die Sache verwickelt, wäre er dann nicht immer noch hier? Würde er dann nicht alles tun, um zu helfen und vielleicht seine eigene Position in dem Geschäft zu stärken? Er könnte ja hoffen, eine Art Geschäftsführer zu werden.«
Er stieß seinen Stuhl zurück, stand auf und begann ruhelos im Zimmer hin und her zu marschieren.
»Das ist nicht genug«, sagte er grimmig. »Du siehst es, und ich sehe es auch, aber wir können uns nicht auf die Geschworenen verlassen. Breeland hatte die Waffen. Er hatte die Finger im Spiel. Es mag wohl sein, dass er Shearer dazu überredete, die Morde zu begehen, vielleicht für den Preis der Gewehre, was ausreichend wäre, um eine Menge Männer zu bestechen. Ich gestehe, es ist mir einerlei, ob Breeland dafür am Galgen endet. Einen anderen Mann zu bestechen, ihn zu Betrug und Mord zu verleiten, ist eine noch größere Sünde, als das alles selbst zu tun. Aber das würde Merrit nichts nützen, weil es nicht beweist, dass sie nichts über seine Machenschaften wusste.«
»Aber…« Schon wollte sie ihm widersprechen, doch dann erkannte sie mit niederschmetternder Klarheit, dass er Recht hatte. Nicht nur wäre es wenig wahrscheinlich, dass die Geschworenen ihr glauben würden, da sie Breeland so nahe stand, freiwillig mit ihm gekommen war und zudem ihre Uhr im Hof des Lagerhauses verloren hatte, sondern sie würde es zudem in ihrer irregeführten Loyalität zu ihm auch noch leugnen.
»Jedermann hat seine dunklen Flecken«, sagte er in die Stille hinein. »Menschen, die du zu kennen glaubst, sind zu Gewalt und Gemeinheit fähig, was schwer zu akzeptieren und unmöglich zu verstehen ist.«
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