Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In den Fängen der Macht

In den Fängen der Macht

Titel: In den Fängen der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
Vom Netzwerk:
unterbrach dessen Gedanken nicht, aber sie beobachtete ihn mit angespannter Sorge, wobei ihr Gesicht kalkweiß war. Hester wusste, dass das Mädchen trotz seines eigenen Grauens und seiner Erschöpfung versuchte, sich in Breelands inneren Aufruhr und sein Gefühl der Scham hineinzuversetzen, das er wegen dem Ausgang der Schlacht haben musste. Seine geliebte Union hatte nicht nur verloren, sondern dies auch noch unehrenhaft. Seine Überzeugungen waren bedroht. Was konnte man einem Mann sagen, der unter solchen Schmerzen litt? Sie war klug genug, nichts zu sagen.
    Hester beobachtete auch Philo Trace. Sie hielt ihn für fast zehn Jahre älter als Breeland, und in dem harten Sonnenlicht, müde und von Staub und Pulverrauch verschmutzt, waren die Linien in seinem Gesicht tiefer als die in Breelands, überdies hatte er bereits weit mehr davon, die sich von der Nase zum Mund zogen und seine Augen umgaben. Doch sein Gesicht war beweglicher als das des jüngeren Mannes, es war gezeichnet von seinem Charakter, von Lachen und Schmerz. Es hatte nicht die Glätte, war weniger kontrolliert. Es war ein von einer Persönlichkeit geprägtes Gesicht, und es drückte keine Schüchternheit aus.
    In Breelands Zügen lag jedoch etwas, was ihr Angst machte. Es war nicht etwas, was direkt zum Ausdruck kam, sondern eher etwas, woran es ihm mangelte, etwas Menschliches, Verletzliches, das sie nicht sehen oder erahnen konnte. War es das, was Merrit bewunderte? Oder war es einfach nicht vorhanden, weil er noch so jung war? Würden Zeit und Erfahrung es in sein Gesicht zeichnen?
    Oder bildete Hester sich das alles nur ein, weil sie wusste, dass er Daniel Alberton wegen der Gewehre so kaltblütig getötet hatte, als… sie hätte fast gedacht, als ob er ein Tier wäre. Sie selbst hätte nicht einmal ein Tier töten können.
    Schweigend fuhren sie dahin, wechselten nur gelegentlich ein paar Worte, um sich über das weitere Vorgehen oder die Route zu verständigen. Ansonsten gab es nichts zu sagen. Niemand schien den Wunsch zu haben, die Kluft zwischen ihnen zu überbrücken. Mit Monk musste Hester sich nicht verständigen. Sie wusste, sie hatten ähnliche Gefühle, und der Mangel an Unterhaltung zwischen ihnen war ein Zeichen ihrer tiefen Freundschaft.
    Als sie sich Richmond näherten, passierten sie große Plantagen, und hier sahen sie auch schwarze Männer, die mit gebeugten Rücken auf den Feldern arbeiteten, geduldig wie die Tiere. Weiße Männer führten die Aufsicht, schlenderten auf und ab und beobachteten die Arbeiter. Einmal sah sie einen Aufseher, der mit einem scharfen Knall eine lange Peitsche auf die Schultern eines Schwarzen niedersausen ließ. Der Mann geriet ins Taumeln, gab aber keinen Schmerzenslaut von sich.
    Hester spürte Übelkeit in sich aufsteigen. Es war nur eine Bagatelle – es mochte hier oder da täglich Dutzende von Malen geschehen –, doch es war ein Zeichen für etwas, was allem, was sie akzeptierte, zutiefst fremd war. Plötzlich war dies ein anderes Land. Sie befand sich inmitten eines Volkes, das eine Lebensart praktizierte, die sie nicht tolerieren konnte, und mit einem Mal entdeckte sie, dass sie Philo Trace mit ganz neuen Augen betrachtete. Sie hatte ihn gemocht. Er war sanftmütig, besaß Humor und bewies Freundlichkeit, Vorstellungsvermögen, Liebe für Schönheit und einen generösen Geist. Wie konnte er sich nur so heftig dafür einsetzen, eine Kultur aufrechtzuerhalten, die etwas Derartiges guthieß?
    Sie sah die Röte auf seinen Wangen, als er ihren Blick spürte.
    »Es gibt vier Millionen Sklaven im Süden«, sagte er ruhig.
    »Wenn sie einen Aufstand anzetteln, wird der Süden zu einem Schlachthaus.«
    Breeland wandte sich um und starrte ihn mit unendlicher Verachtung an. Er machte sich nicht die Mühe, dies in Worte zu fassen. Merrits Gesichtsausdruck spiegelte den seinen wider. Die Farbe auf Trace’ Wangen wurde dunkler.
    »Amerika ist ein reiches Land«, fuhr er gelassen fort und weigerte sich, das Schweigen zu akzeptieren. »Überall entstehen neue Städte, vor allem im Norden. Es gibt Industrie und Wohlstand –«
    »Aber nicht, wenn man Farbiger ist!«, schnappte Merrit. Trace sah sie nicht an.
    Ein kurzes, geringschätziges Lächeln kräuselte sich um ihre Lippen.
    »Wir exportieren alle möglichen Arten von Gütern«, fuhr Trace fort. »Erzeugnisse aus dem Norden, wo die Industriellen reich werden –«
    »Aber nicht durch die Arbeit von Sklaven!«, stieß Breeland schließlich hervor. »Wir

Weitere Kostenlose Bücher