In den Klauen des Bösen
ich wünschte mir, recht zu behalten? Meinst du, ich weigere mich bloß, Jennys Tod als Tatsache zu akzeptieren? Aber andererseits, Craig - was wäre, wenn sie nicht tot ist? Wenn ich doch recht hätte? Uns bleibt nur eine Möglichkeit, um das herauszufinden.«
Craig schwieg lange. Dann atmete er einmal tief durch. Sie wechselten einen Blick. »In Ordnung!« sagte er. »Dann wollen wir mal sehen, was wir tun können.«
27
Kelly sah Tim Kitteridge verängstigt an. »Daran hat niemand Schuld«, betonte sie. Sie hatte sich alle Mühe gegeben, die Ereignisse zu erklären, doch unter dem Blick ihres Vaters fühlte sie sich trotzdem merkwürdig schuldbewusst - als ob sie ihn schon wieder enttäuscht hätte.
»Und du hast Phil Stubbs erzählt, der Mann, der das Baby genommen hat, sei dein Großvater?« wollte Kitteridge wissen.
Kelly sah wiederum unruhig zu ihrem Vater hinüber. Seine Augen durchbohrten sie förmlich. Wenn sie jetzt etwas Falsches sagte... Aber lügen durfte sie nicht.
Denn sie hatte sich nicht getäuscht. Der Mann im Moor war ihr Großvater gewesen, auch wenn er noch viel schlimmer ausgesehen hatte als morgens beim Verlassen des Hauses. Sie nickte. »Er ist es gewesen«, flüsterte sie. »Er... er sah anders aus als sonst, aber er war es trotzdem.«
Ted Andersen wollte sprechen, doch mit einem Blick brachte Kitteridge ihn zum Schweigen. »Wie denn, Kelly?« fragte er. »Inwiefern hatte er sich verändert?«
Kelly zögerte. Wenn sie die Wahrheit sagte, würde man sie für verrückt erklären. Aber andere Leute hatten Großvater ebenfalls gesehen. Sie kannten vielleicht nicht seinen Namen, aber beschreiben könnten sie ihn. »Er sah krank aus«, bekannte sie schließlich mit zitternder Stimme. »Ich meine... also, es war, als ob er auf einmal alt geworden wäre. Ich meine, richtig alt, wie vor dem Sterben oder so ähnlich.« Sie rechnete schon damit, dass ihr Vater sie wieder des Lügens bezichtigen würde; als der Vorwurf ausblieb, fuhr sie fort: »Es war wirklich irre. Ich habe ihn am Morgen zur Arbeit wegfahren gesehen; da hat er schon so komisch ausgesehen. Aber im Moor war seine äußere Erscheinung noch schlimmer. Er hatte kaum noch Haare auf dem Kopf und schreckliche Falten im Gesicht. Die Augen waren völlig eingesunken.«
Sie bemerkte den Blick, den ihr Vater mit dem Polizeichef tauschte, und schwieg von neuem. Ihr Vater stellte ihre Aussagen aber gar nicht in Frage.
»Genauso, wie ich es Ihnen auch gesagt habe«, erklärte Ted. »Irgend etwas ist mit ihm nicht in Ordnung, und es muss etwas mit den Spritzen von Phillips zu tun haben. Die Spritzen haben ihm auf irgendeine Weise den Verstand geraubt.«
Kitteridge nickte knapp. Er überlegte blitzschnell. »Zuallererst müssen wir ihn finden und das Baby retten.« Er zog sein Funkgerät aus der Gürteltasche und schaltete es ein. Als sich Marty Templar meldete, gab Kitteridge eine Reihe von Anweisungen. »Carl Anderson befindet sich im Moor und hat ein Baby bei sich. Wir brauchen Männer - bewaffnete Männer. Anderson hat einen Revolver, und wir müssen davon ausgehen, dass er ihn benutzen wird. Und Marty«, fügte er hinzu, »der junge Sheffield hält sich auch im Moor auf. Er verfolgt Anderson. Gebt also acht, dass ihr nicht auf den Falschen schießt. Verstanden?« Er hörte. »Wir setzen beim Dock von Phil Stubbs an. Kelly Anderson kann uns zeigen, wo der alte Kerl sich das Baby geschnappt hat. Vielleicht können wir ihn von dort aus aufspüren.« Er stellte den Funk ab und wandte sich an Kelly. »Kannst du wieder hinfinden?«
Kelly leckte sich nervös die Lippe. »Ich... Ich weiß nicht«, gab sie endlich zu.
Kitteridge reagierte verärgert. »Du hast doch die Gruppe wieder aus dem Moor zurückgebracht?«
Kelly blieb stumm. Wie sollte sie das alles erklären? Wie könnte sie ihm klarmachen, dass sie überhaupt nicht gewusst hatte, wo sie sich befand und wortlosen, geheimnisvollen inneren Anweisungen gefolgt war? »V-i-e-l-leicht kann ich’s doch«, stammelte sie. »Ich bin mir nur nicht sicher. Ich habe das Boot einfach immer nur in die Richtung gesteuert, die mir plausibel schien.«
Doch Kitteridge hörte ihr schon nicht mehr zu. Er hatte seine Aufmerksamkeit auf die junge Mutter gerichtet, die mit anderen Frauen ein paar Meter weiter saß und erneut weinte.
»Daddy, was stimmt eigentlich nicht mit mir?« Kelly sah ihren Vater besorgt an, als sie allein waren.
Der Ton ihrer Stimme zerriß ihm fast das Herz. Er legte ihr
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