In den Klauen des Bösen
gibt da eine Geschichte, die ein paar Leute betrifft, die hier im Moor leben.«
Clarey neigte den Kopf zur Seite. Neugier schien ihr fremd.
»Amelie Coulton hat gesagt, ich solle mich einmal mit Ihnen über diese Leute unterhalten.«
Clarey blieb schweigsam.
»Kennen Sie Jonas Cox?«
Clarey nickte.
»Wissen Sie, wo er sich befindet?«
Clarey schüttelte den Kopf.
An der Art, wie sie seinen Blick erwiderte, als er sie ins Visier nahm, wurde ihm deutlich, dass er von ihr keinerlei Informationen erwarten durfte. »Amelie sagt, ihr Mann und Jonas Cox seien Kinder vom Schwarzen Mann.« Er beobachtete Clarey Lambert genau; sie zeigte keine Reaktion. »Amelie behauptet, die Kinder seien tot, Mrs. Lambert. Und ich soll mir das von Ihnen erklären lassen.«
Clarey verzog die Lippen zur Andeutung eines Lächelns. »Warum frag’n Sie mich, wo Jonas is’, wenn er tot is’?«
Kitteridge überlegte. »So war das nicht gemeint. Ich glaube, Amelie meinte damit wohl eher, sie seien Zombies oder Ähnliches.«
Clarey starrte den Polizeichef an. »Wenn ich Sie wär’, würd’ ich aufpass’n, bevor ich so was sag’. Die Leut’ könnten Sie für verrückt halten.«
Kitteridge hielt ihrem Blick stand. »Ich habe nicht gesagt, dass ich ihr glaube, Mrs. Lambert. Ich tue nur meine Pflicht.«
Clarey Lambert lächelte wieder. »Dann sollt’n Sie besser Ihre Pflicht tun. Und ich meine.« Wie eine Nähmaschine arbeiteten ihre Finger am Tuch auf ihrem Schoß. Kitteridge wusste, dass alles weitere Bemühen vergeblich sein würde. Deshalb gab er Judd ein Zeichen; der Deputy ließ den Motor an und steuerte das Boot fort. Clarey hob nicht einmal den Kopf.
Kitteridge hatte das unheimliche Gefühl, dass er für sie überhaupt nicht existiert hatte.
Tim Kitteridge bedeutete Judd, langsamer zu fahren. »Vorn ist ein anderes Boot«, sagte er. Der Deputy stellte den Motor ab und legte die Ruder ein.
Als sie kurz darauf durch ein Mangrovengebüsch auf die stille Lagune hinausglitten, konnte Kitteridge das Boot deutlich erkennen. Es trieb in fünfzig Meter Entfernung in seichtem Gewässer und war unbemannt. Über den Bug stand in schwarzen, unregelmäßigen Buchstaben ein Wort: COX.
Er drehte sich fragend nach Duval um. »Gehört das Jonas Cox?«
Der Deputy zuckte mit den Schultern. »Kann sein. Muss aber nicht - ‘s gibt hier herum bestimmt ‘n Dutzend Leute, die Cox heißen. Und im Boot is’ keiner.«
Kitteridge dachte nach. »Wohin könnte er verschwunden sein? Und warum das Boot einfach im Stich lassen?« Doch dann kam ihm eine Idee. »Ich weiß, was wir tun. Ich rudere uns hinüber und steig in das andere Boot. Und dann reden wir beide ein bißchen miteinander. Wir erklären, wir wollten warten, und am Ende sagen wir ganz laut, dass wir jetzt doch lieber verschwinden wollen. Und dann schippern Sie weg.«
Judd kam das rätselhaft vor, aber er fügte sich. Sie legten neben dem fremden Boot an; Judd hielt es fest, während Kitteridge - laut redend - umstieg.
»Ich weiß nicht.« Er setzte sich in die Mitte. »Sieht ganz so aus, als ob der Kerl einfach abgehau’n ist. Hat wahrscheinlich längst das nächste County erreicht.«
»Vielleicht sollten wir sein Boot mitnehmen«, schlug Judd vor.
»Aber nein. Ich wüsste nicht, warum wir uns mit so einem lecken alten Ding abplagen sollten. Das lassen wir hier einfach liegen.«
Er winkte Duval fort. Der Deputy ließ den Motor an und steuerte das Boot in ein enges Bayou auf der anderen Seite, wo es gleich darauf im hohen Schilfgras verschwand, während Tim Kitteridge still wartend im Boot von Jonas Cox saß.
Fast zwanzig Minuten lang machte Kitteridge keine Bewegung. Das Wasser ringsum war glatt und still wie ein Spiegel. Kitteridge kam es so vor, als sei er in eine andere Sphäre entrückt und auf der Welt völlig allein.
Dennoch spürte er, dass jemand ganz in der Nähe war; er spürte es mit der Sicherheit des Instinkts, der ihn während seiner langen Laufbahn in Kalifornien beschützt hatte, wo er bei jedem Eindringen in eine verkommene Wohnung vorausahnte, ob sie leer war oder bewaffnete Männer versteckte, die bei seinem Anblick sofort schießen würden.
Plötzlich lief vom Boot eine leichte Welle über die Wasserfläche.
Einen Moment später tauchten zwei Hände auf, die sich am Dollbord festklammerten.
Und dann hob sich aus dem seichten Wasser der strähnige, schmale Kopf eines Jungen von etwa neunzehn Jahren, der zwei kurze Stücke von hohlem Ried zwischen den
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