In den Klauen des Löwen
angerufen hatte.
»Man rennt gegen eine Gummiwand«, sagte er ärgerlich. »Überall das gleiche: Savannenbrand, Sperrzonen, zuletzt hieß es sogar Seuchengefahr wegen des massenhaft verendeten Wildes. Zu näheren Erklärungen ist keiner bereit, und zwingen können wir niemanden. Nur eins ist sicher: Sie können im Augenblick nicht nach Kitumba zu Ihren Eltern.«
»Ich würde es anders sagen, Dr. Herbertz. Eins ist sicher: Ich komme zu meinen Eltern!« Das Gesicht Corinnas zeigte wilde Entschlossenheit. Mit einer ostentativen Bewegung warf sie die blonden Haare in den Nacken. Sie trug sie offen, nur zusammengehalten von einem roten hauchdünnen Chiffonschal.
»Und wie?« fragte Dr. Herbertz zweifelnd.
»Mit einem Jeep oder Landrover! Ich habe Freunde in Kampala, die mir einen beschaffen. Handelspartner von Vater.«
»Ich nehme an, Inder.«
»Ja.«
»Wenn die Regierung die Straßen und Zufahrten sperrt, wird sich keiner finden, der so dämlich ist, Ihnen einen Jeep für die Fahrt nach dem Nordwesten zu geben. Erstens ist der Jeep bald hin, zweitens kommen Sie in böse Schwierigkeiten und drittens fällt das auf das Geschäft Ihres Handelsfreundes zurück. Und noch eins: Ich kann Sie nicht schützen, wenn Sie solche Dummheiten machen.«
»Ist es eine Dummheit, wenn man Angst um seine Eltern und Geschwister hat?« rief Corinna. »Wenn mir niemand hilft … gut, ich schaffe auch allein den Weg!«
»Sie kennen Afrika.« Dr. Herbertz goß Corinna noch einen eisgekühlten Orangensaft ein. »Sie sind in diesem Land geboren und aufgewachsen, Sie haben zu diesem Land eine andere Einstellung als ich, der ich Afrika vor meiner Berufung hier an die Botschaft nur vom Atlas und aus den Filmen kannte. Trotzdem kann ich Ihnen einen Rat geben, diesmal als Diplomat: Uganda ist ein junger Staat. Mit der Selbständigkeit kam auch der Stolz zu den jungen afrikanischen Völkern. Und mit Recht. Jahrhundertelang waren sie unterdrückt und versklavt. Wenn nun eine Staatsstelle etwas anordnet und ausgerechnet ein Weißer ignoriert diese Anordnung, so reagieren die farbigen Stellen sehr sauer. Besonders sauer! Immer lauert im Hintergrund der Komplex: Die Weißen nehmen uns nicht ernst. Sie tun nach wie vor, was sie wollen! Dementsprechend werden Sie behandelt werden, und keiner wird Ihnen helfen können.«
»Ich will auch keine Hilfe!« Corinna trank das Glas aus und setzte es hart auf den Tisch. »Vergessen Sie, was ich gesagt habe.«
»Mit anderen Worten heißt das: Sie versuchen doch, nach Kitumba zu kommen.«
»Selbstverständlich.«
Dr. Herbertz hob die Arme. Mehr als warnen konnte er nicht. Im stillen bewunderte er dieses Mädchen, dieses Produkt deutscher Eltern und afrikanischer Landschaft, für das es keine Gefahren gab, gegen die es nicht den nötigen Mut aufbrachte. Wie sie jetzt dastand, mit zurückgeworfenen Haaren, blauen, blitzenden Augen und leicht geballten Fäusten, traute man ihr zu, quer durch die Savanne zu fahren ohne Rücksicht auf Kaffernbüffelherden oder aufgescheuchte Elefantenbullen.
»Vor Ihnen müssen Löwen Angst haben«, sagte Dr. Herbertz ernst. »Ich kann Sie nur zum wiederholten Male bitten: Seien Sie vernünftig. Warten Sie im Hotel Apolo auf eine günstige Nachricht. Ich bemühe mich dauernd darum, das verspreche ich Ihnen. Genügt Ihnen das?«
»Nein!« Corinna stand auf. Mit beiden Fäusten klopfte sie sich auf die Brust, und es war eine schöne Brust, wie Dr. Herbertz feststellte. »Hier drinnen brennt etwas! Ich kenne das. Es sind Ahnungen, die mich noch nie getrogen haben. Es muß etwas Fürchterliches geschehen sein … und da soll ich oben in der Hotelbar sitzen und Cocktails schlürfen? Wofür halten Sie mich eigentlich?«
»Für eine sehr hübsche, sehr kluge und sehr temperamentvolle junge Dame.« Dr. Herbertz gab Corinna die Hand. Sie drückte sie fest. »Und seit zehn Minuten auch für eine sehr mutige junge Dame. Zu mutig für meine Begriffe.«
»Sie sind auch nicht in der Savanne geboren. Guten Tag.«
Dr. Herbertz sah Corinna hinter der Gardine vom Fenster aus nach. Schnell und kraftvoll, hochbeinig und mit wehenden blonden Haaren ging sie zu dem Hotelwagen.
Ein Satansweib, dachte Dr. Herbertz. Glücklich der Mann, der sie einmal bekommt.
Aber es muß ein Mann sein, stark wie ein Büffel.
Am Nachmittag eines glutheißen Tages saß Hendrik Thorwaldsen unter den breiten Zweigen eines Leberwurstbaumes und bereitete sich auf einem Gaskocher sein Abendessen. Er hatte eine Pfanne
Weitere Kostenlose Bücher