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In den Spiegeln (Teil 1, 2 & 3) - Die dunkle Stadt (German Edition)

In den Spiegeln (Teil 1, 2 & 3) - Die dunkle Stadt (German Edition)

Titel: In den Spiegeln (Teil 1, 2 & 3) - Die dunkle Stadt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ales Pickar
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Kerze in der Mitte. Es machte den Eindruck, als sei Thanatopolis auf einem Hügel oder sogar Berg erbaut.
    Ich erinnerte mich an das Gespräch mit Adam Kadmon, als er mir Unterweisungen für das Ritual mit Apythia gab.
    »Ist diese Stadt nun echt oder ein Produkt meiner Phantasie?« hatte ich ihn gefragt.
    »Wir beide sehen hier weitgehend das selbe. Aber nicht wirklich. Für jeden ist es hier ein wenig anders. Und es verändert sich mit jedem Besuch, weil man sich im Diesseits mit anderen Bildern und Hypotheken anreichert, die hier reflektiert werden. Das geschieht kollektiv und individuell. Ist ein Spiegelbild echt? Es ist weder echt noch unecht. Es ist echt in seiner akkuraten Wiedergabe des Gespiegelten. Es ist unecht, wenn man versucht, es zu berühren. Dinge, die man willig und motiviert angeht, gelingen auch. Für das Beneficium gilt es besonders. Sei also nicht zaghaft, wenn du vor Apythia zur Prüfung stehst — was nicht bedeuten soll, dass du unverschämt sein solltest«, hatte mir Adam Kadmon auf seiner Milonga-Party im El Corazón erzählt. »Sie ist eine launische Mischung aus einer Sphinx, einem Orakel und einer Wunschfee. Wenn du vor sie trittst, wird sie dir in ihrer Funktion als Sphinx eine Frage stellen. Das ist nicht gefährlich. Antworte ehrlich und ohne nachzudenken. Apythia will nicht, dass du ein Rätsel löst, sondern sie muss erkennen, wer du bist. Dann erscheint sie in ihrer zweiten Funktion, als das Orakel. Nun darfst du ihr eine Frage stellen, und sie wird dir eine Antwort geben. Diese Antwort ist durchaus interessant. Doch der eigentliche Zweck der Übung ist, zu erfahren, wer du nicht bist. Und dafür eignen sich Fragen gut. Und in ihrer letzten Instanz tritt sie dir als eine Wunschfee entgegen. Das ist jetzt ganz wichtig. Versuche hier nicht geistreich oder gerissen zu sein. Sage einfach nur: Dieses Mal wünsche ich einen unversehrten Leib . Sprich es nach.«
    »Dieses Mal wünsche ich einen unversehrten Leib«, hatte ich wiederholt, während sich ein lachendes Paar an meinem Rücken vorbei auf die Tanzfläche drängte.
    Hier war ich also. Mehr oder minder bereit.
    Ein dunkler, kleiner Hinterhof, mit Schlamm auf dem Boden und einer Art Kirche in seiner Mitte. Und oben am wolkenlosen, nächtlichen Himmel Engelssterne und Sternschnuppen der Seelen. Das war also das Jenseits. Das war also mein Jenseits.
    Ich hatte mich noch nie zuvor so allein gefühlt. Das Jenseits war ein befremdliches Wechselbad der Gefühle und so gar nicht, wie ich es mir jemals vorgestellt hatte. Es hatte weder etwas Erlösendes, noch spendete es Geborgenheit, noch war es eine reine Erfindung. Es war eine Gegenwelt, die all das kompensierte, was wir im Diesseits erlebten und anrichteten. Und zurück im Diesseits kompensierten wir dann alles, das wir hier erlebten. Und so weiter. Sie hatten uns alle angelogen. Ich sammelte Mut für den letzten Schritt. Was würde Dick Grayson in dieser Situation tun?
    Ich stellte fest, dass inzwischen die meisten Fenster der Hinterhoffassade erhellt waren. Bei den niedrigen Stockwerken konnte man recht gut hineinsehen. Plötzlich erkannte ich mich in jedem einzelnen Fenster. Mein Jenseits lief auf Hochtouren. Es waren Scheußlichkeiten, die in meinem Leben nie stattgefunden haben, doch ich wusste, sie entstammten alle meinem verschrobenen Geist. Ich wandte mich entsetzt ab von diesen Bildern.
    »Ich bin schon viel zu lange hier«, dachte ich.
    Wie erst muss es für Lichtmann gewesen sein, der hier seine ganze Jugend verbracht hatte? Kein Wunder, dass er einen Hau weg hatte.
    Entschlossen packte ich den eisernen Griff und zog fest daran. Der Torflügel öffnete sich, gerade weit genug, dass ich mich hindurch schieben konnte. Noch einmal hörte ich hinter mir das trockene Rauschen von wuchtigen Flügelschlägen. Vielleicht beobachtete Manakel aus der Ferne, ob ich auch wirklich reinging, oder ein anderer Engel kam vorbeigeflogen. Hastig trat ich ein.
    Der Raum war leer und besaß entlang der Wände einen Korridor, der durch Säulen gesäumt war. Nicht unbedingt antike Säulen. Gegenüber dem Tor stand zwischen zwei Säulen ein Podest, vielleicht einen halben Meter hoch. Und darauf befand sich ein wuchtiger Thron. Ob der Thron nur drei Beine hatte, wie einst der Hocker des Delphischen Orakels, konnte ich nicht erkennen. Denn oben auf saß Apythia, in einem langen Kleid, das bis zum Boden reichte.
    Apythia war in ihrer Weiblichkeit sehr ambivalent. Ihr Gesicht war nicht sehr ansehnlich.

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