In den Spiegeln (Teil 1, 2 & 3) - Die dunkle Stadt (German Edition)
daher kam, weil sie eine gewisse Obsession für gelbe Post-Its hatte, oder ob ich »Zettel« mit Belegen und Rechnungen assoziierte. Manche Sachen entfallen mir einfach. Eindeutig ein Kiffer-Problem.
Die »Zettelschlampe« hatte mit Zetteln immer weniger zu tun, denn dafür hatte sie ja mich. Also wenn man darüber so nachdenkt, war ich im Grunde die »Zettelschlampe«. Aber lassen wir das. Sonst kriege ich wieder schlechte Laune.
Die Gründe, weshalb ich den Laufpass erhielt waren vielfältig. Zum einen schnüffelte die Zettelschlampe in meinem Computer und in meinen Schubladen. Sie fand auf der Festplatte einige (zugegeben etwas infantile) Aufsätze von mir, meistens über Sex und Drogen — eindeutig meine Lieblingsthemen. Keine große Literatur, aber es ist das kurzweiligste, was man tun kann, wenn der Job darin besteht, auf einen Monitor zu starren und die Hände auf der Tastatur zu halten. Und sie fand die Comics. Dabei bin ich während meiner Arbeitszeit zum Lesen von Hellblazer gar nicht gekommen. Die Hefte waren stets nur dazu verdammt, in dieser Stahlschublade zu stecken. Meine Vorgesetzte ging selten aus dem Zimmer und sogar ihre Mittagspausen verbrachte sie mit einem belegten Brot, das sie in puritanischer Manier jeden Tag dabeihatte und aus einer Serviette auspackte.
Die Texte auf meinem DOS-Rechner waren schon zwei Jahre alt und, um offen zu sein, hatte ich sie selbst ganz vergessen. Ich dachte, ich hätte alles gelöscht. Nun lagen sie vor mir, gut dreißig Seiten, auf grauem Umweltpapier mit perforiertem Falz verbunden und mit abtrennbaren Führungslöchern an den Seiten.
Doch in dem nun folgenden Vortrag, den mir Frau Trockengruber über meine mangelhafte Einstellung zur Arbeit hielt und der mit einem perforierten Falz voller »außerdem« und »im Übrigen« und »auch fällt mir ein« zusammengehalten wurde, ging es noch um viel mehr.
So erfuhr ich, dass ich viel zu wenig lächle (nun eigentlich lächle ich hier überhaupt nicht), was über Jahre hinweg untragbar sei und dass einige meiner Äußerungen eine recht ablehnende Haltung gegenüber der Abteilung des Rechnungswesens und der Firma im allgemeinen darstellten. Und dass ich in all der Zeit wenig mehr getan hatte, als verlangt war. Und wie ich mir eigentlich meine Zukunft vorstelle.
Zukunft? Ich konnte nicht behaupten, diesen Ausführungen allzu aufmerksam zugehört zu haben. In all den Jahren hatte ich mir ausgemalt, dass ihr Ehemann, dieser Paolo-Pinkas-Verschnitt, der sie ab und zu von der Arbeit abholte und dabei immer nur stoisch unten in seinem BMW wartete, und von dem sie so voller Stolz sprach, da er einer von zwei Chefs irgendeiner Werbeagentur in Sendling war, ihr endlich endlich, ein Kind anfickte, damit sie in den wohlverdienten Mutterschaftsurlaub ging. Und damit ich meine Ruhe hatte.
Aber das geschah nicht. Es geschah nie.
»Wann werden Sie endlich schwanger und verziehen sich?« hörte ich plötzlich meine Stimme. »Ich kenne ein paar Jungs, die es echt nötig haben. Vielleicht hilft das weiter...«
Tja, es mag übertrieben erscheinen, aber das war der Grund für meine Kündigung. Ich wurde über Nacht zu einem Monster, das jeder in der Firma hasste und als Abfallprodukt unserer kaputten Zivilisation ansah. Die Chefetage drückte mir ein Messer auf die Brust. Wenn ich das Restgehalt für die anderthalb Monate haben wollte, sollte ich mir bloß nicht rausnehmen, einfach zu verduften.
Frau Trockengruber wollte Genugtuung und brabbelte etwas von einer Anzeige wegen Beleidigung, doch Herr Valetti, der Geschäftsführer von »Brunner & Furlong«, bekam am Ende wohl Angst, dass die Sache noch in einer Zeitung landen würde und bat sie in sein Büro. Als sie herauskam, drückte sie theatralisch ihr zerknülltes Taschentuch unter die Augen und seufzte unglücklich.
Und so saß ich meinen Job bis zum bitteren Ende aus, zusammen mit Menschen, die mich verabscheuten, weil ich mich daneben benommen hatte. Weil ich auf ihre kleine Legowelt gepinkelt hatte. Plötzlich reagierten alle nur noch einsilbig auf meine Fragen, als hätte hinter meinem Rücken eine kollektive Absprache zu meiner Person stattgefunden. Und ich zählte die Tage.
Doch es gelang mir auch weiterhin, untätig zu bleiben. Kaum jemand versuchte mich dafür zu schikanieren. Alle warteten wohl auf den Tag X und wollten sich mit mir so wenig wie möglich infizieren.
Am letzten Tag packte ich meine Habseligkeiten in meine Schultertasche und verließ wortlos die
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