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In der Falle - Leino, M: In der Falle

In der Falle - Leino, M: In der Falle

Titel: In der Falle - Leino, M: In der Falle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marko Leino
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vor der Tür zum Treppenhaus stehen und sah sich um. Alles an der Wohnanlage sah verwittert aus. Der Hof, den vier identische dreistöckige, mit jeweils drei Treppenhäusern versehene Mietshäuser bildeten, wurde von sechs blassen Laternen beleuchtet. Dazu kam das Licht, das durch die Gardinen der Wohnungen sickerte. Beides zusammen reichte gerade, um den dicken Blätterteppich auf den Wegen sichtbar zu machen, der seinerseits die Risse und Beulen im Asphalt verbarg. Acht weitere Lichtmasten standen dunkel, der Hausmeisterdienst versuchte wohl den eigenen Langsamkeitsrekord zu brechen. Im Sandkasten und auf den zwei Schaukeln daneben war niemand, die leichtere der beiden, der eine von zwei Latten fehlte, schwang leise im Regen.
    Dieser Hof mit seinen trostlosen Häusern war vor dreizehn Jahren noch Vesas ganze Welt gewesen. Riesig hatte er ihn gefunden, als der Umzugswagen in den zu Haus C führenden Weg einbog und mit einem Stoßseufzer der Bremsen vor dem Treppenhaus H anhielt. Da war er fünf Jahre alt gewesen, und auf dem Hof tobte das Leben. Es schien unendlich viele Familien mit Kindern zu geben. Wohin waren sie bloß alle verschwunden?
    Nach und nach, Jahr um Jahr hatte sich der Hof mehr geleert, jeden Tag waren weniger Kinder auf dem Spielplatz gewesen, und irgendwann kam gar niemand mehr, nicht mal, um das blaue Führerhaus des Lasters aufzuheben, das im Sandkasten auf der Seite lag und dessen roter Aufleger schon vor langer Zeit verschwunden war. Vesa hatte das Fehlen des Auflegers irgendwann bemerkt, als er aus dem Küchenfenster im zweiten Stock schaute. Er erinnerte sich, dass er erst nur bemerkte, dass sich etwas verändert hatte, aber nicht wusste, was. Dann hatte er gecheckt, dass sein roter Fixpunkt verschwunden war, der Fixpunkt, auf den er sich immer konzentrierte, wenn er beim Hinausschauen ein Lied summte, damit er seine Eltern nicht hören musste – oft vergebens, weil ein plötzliches Krachen oder das Klirren von Glas seine akustische Schutzmauer zum Einstürzen brachte. Und eines Abends war auch noch der rote Aufleger weg gewesen. Vielleicht hatte er auch genug gehabt und war abgehauen, so wie er selbst es längst hätte tun wollen.
    Der Hof ohne Leben.
    Als die Altersgruppe nach Vesa zur Schule ging, kamen keine neuen Kinder und keine neuen Familien mehr nach. Und die einstigen Kinder waren plötzlich erwachsen geworden, so wie er jetzt, und einer nach dem anderen weggezogen. Nur die Eltern der Kinder waren in den Wohnungen geblieben.
    Dreizehn Jahre, in denen sich an dem Hof selbst nicht viel verändert hatte. Die Rosenbüsche waren noch die, die Vesa beim Einzug gesehen hatte, sie waren jetzt nur dünner und verwachsener und hatten sich über den Rasen ausgebreitet. Die Birken waren natürlich größer, außer der einen, die der Schneepflugfahrer an der Ecke von Haus B und C angefahren hatte. Sie stand tot und verdörrt an ihrem Platz und gemahnte, seit ein Herbststurm ihr den Wipfel abgerissen hatte, schon im Sommer an den nächsten Winter. Tot und kopflos – für Vesa war die Birke ein Symbol für die ganze Wohnanlage, das ganze Elend, das sich darin versammelte.
    Verdammt, wie sehr er da wegwollte!
    Es war ein paar Stunden her, da hatte er genau das auch Tiina gesagt. Sie war für die Abendschicht am Kiosk an der Ecke Pakilantie und Osuuskunnantie eingeteilt und hatte gelangweilt hinter der Theke gestanden und auf ihrem Kaugummi herumgekaut.
    »Und wohin willst du?«
    »Egal.«
    »Genauer geht’s wohl nicht«, hatte Tiina gesagt.
    Und Vesa hatte eine Weile geschwiegen und zugeschaut, wie Tiina die Kaffeemaschine auf der Nebentheke aufgefüllt und wieder eingeschaltet hatte. Ihm hatte sie den Bodensatz aus der Kanne in einen Pappbecher gekippt, zwei Süßstofftabletten hineingeschnippt, einen Plastiklöffel dazugesteckt und ihm das Ganze wortlos in die Hand gedrückt. Tiina war wie für diesen Job gemacht.
    »Hast du Lust, am Freitag mit mir ins Kino zu gehen?«, hatte er gefragt und in seinem dicken, wahrscheinlich gallebitteren Gratisgetränk gerührt.
    »In was?«
    »Was du magst.«
    »Genauer geht’s wohl nicht«, hatte Tiina wieder gesagt.
    »Ich weiß es eben nicht – und, willst du?«
    Tiina hatte als Antwort nur die Achseln gezuckt, gewartet, bis die Kaffeemaschine blubberte, und war dann wieder zur Verkaufstheke gekommen. Vesa stand ihr mit seinem bitteren Kaffee gegenüber.
    »Und?«
    »Was und?«
    Vesa musste zur Seite gehen, weil jemand kam, der die Schnauze genauso voll

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