In der Falle - Leino, M: In der Falle
bist, rufst du mich an, und ich komm mit der Pizza.«
Vesas Vorschlag brachte Tiina immerhin so weit, dass sie überlegte. »Und du gehst, bevor die Eltern zurückkommen?«
»Klar.«
»Und bringst Cola Light?«
»Mach ich.«
Als Vesa den Kiosk verließ, ging es ihm ein wenig besser. Die vergangene Nacht war immer noch ein Alptraum, aber vielleicht konnte er ihn eines Tages überwinden. Es waren die alltäglichen Dinge, an denen er sich festhalten musste. Und an Tiina. Vorerst erinnerte ihn zwar das zweite Handy daran, dass seine Nacht noch nicht zu Ende war. Die würde erst zu Ende sein, wenn er die Schulden seines Vaters zurückgezahlt hatte. Aber danach wäre er frei.
Viitasalo saß in seinem Arbeitszimmer und war unfähig, auch nur irgendetwas Sinnvolles zu tun. Die Geschehnisse von vor viereinhalb Jahren gingen ihm durch den Kopf und ließen keinen Raum für die Gegenwart. Das Schlimmste war, dass er merkte, wie er die Schuld immer weniger bei sich selbst und immer mehr bei Sari suchte. Nach allem, was sie zusammen durchgemacht hatten, zeigte der Finger, der sich fest auf seine eigene Brust hätte richten sollen, wie ein Pistolenlauf auf sie. Er war ein Arschloch. War es schon immer gewesen. Er floh vor der Verantwortung. Würde er das sein ganzes Leben lang so machen? Viitasalo sah auf den Bildschirm seines PCs. Die Seite, die er geöffnet hatte, war ihm nur zu vertraut. Von damals noch. Er konnte den Artikel fast auswendig. Er war darauf gestoßen, als er nach dem Grund für seine eigenen schlechten Gefühle geforscht hatte, dafür, dass er sich als schwach, hilflos und gefühlskalt empfunden hatte. Er hatte etwas über sich wissen wollen und stattdessen etwas über seine Frau erfahren.
Viitasalo erinnerte sich noch genau, wie es war, als er zum ersten Mal am Geisteszustand seiner Frau gezweifelt hatte. Er war hungrig nach Hause gekommen und direkt in die Küche gegangen, um sich ein Brot zu machen. Mit dem Brot in der Hand hatte er sich gewundert, wo alle ihre Messer waren. Er hatte Sari danach fragen wollen und sie auf der Terrasse gefunden. Dort hatte sie gesessen und mit leeren Augen vor sich hin gestarrt.
»Ich hab sie im Garten vergraben«, antwortete sie auf seine Frage. Ihre Stimme klang monoton.
»Warum?«, fragte Viitasalo.
»Damit Liina sich nicht wehtun kann.«
»Sie kommt doch noch nicht mal an die Schublade.«
»Das weiß man nie. Ich hab Angst, dass ihr was Böses passiert.«
»Ist es der Tod deines Vaters, der dir so zu schaffen macht?«
»Nein, ich hab nur Angst wegen Liina. Dass ihr was passiert. Was Böses.«
Viitasalo ging mit dem Brot in der Hand zum Kinderwagen, aus dem man leises Weinen hörte. Der Geruch, der ihm entgegenschlug, war unbeschreiblich.
»Wann hast du zuletzt die Windel gewechselt?«
»Ich trau mich nicht.«
»Warum denn nicht, verdammt noch mal?«
»Ich hab Angst. Dass Liina mir runterfällt.«
Viitasalo sah und hörte die Unterhaltung von damals wie in einem Film. An dem Tag war ihm aufgegangen, dass es Sari sehr viel schlechter ging, als er hatte wahrhaben wollen. Noch am selben Tag war ihm auch ihre wirtschaftliche Lage klar geworden.
Sari zeigte ihm die Rechnungen, die sie in der Nachttischschublade versteckt hatte. Es waren viele, und sie waren alle nicht bezahlt, vom Anttila -Onlineshop, von Halens , Ellos , Cellbes , Josefsson und HobbyHall , sie hatte Zeitschriften abonniert, war in Buchclubs eingetreten und hatte bei sämtlichen TV-Shops bestellt … Der größte Teil der Rechnungen waren schon Mahnungen. Für gekaufte Kleider, Schuhe, Einrichtungsgegenstände, Geschirr, Haushaltsgeräte, Sportgeräte, Diätratgeber – alles. Auffallend war nur, dass nichts für Liina dabei war. Er hätte erwartet, dass Liina ein Antrieb für Saris Kaufsucht war. Dass sich irgendwo Kinderwagen und Spielzeug stapelten und Liinas Kleiderschrank aus allen Nähten platzte. Aber nichts davon. Das wunderte ihn, und er verstand es nicht.
»Wo sind die Sachen eigentlich alle?«, fragte er später am Abend, als er mit seinem Taschenrechner und dem Stapel Rechnungen am Küchentisch saß. Sari saß ihm gegenüber und schüttelte den Kopf.
»Nur weil ich hier nirgendwo was Neues sehe. Sag! Vielleicht können wir was zurückgeben, sonst sind wir nämlich verratzt. Die Rechnungen und der Kredit fürs Haus, das schaffen wir nicht.«
»Die Kleider hab ich in die Altkleidersammlung gegeben, und die anderen Sachen hab ich der Heilsarmee für ihren Flohmarkt
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