In der Falle - Leino, M: In der Falle
verwirrt war und die Welt um sich als etwas Unwirkliches empfand, genau wie Sari damals, als die Sache mit ihren verrückten Einkäufen herausgekommen war?
Vielleicht hätten sie damals miteinander reden sollen, trotz allem. Vielleicht wäre es für sie beide gesünder gewesen als der Versuch, alle Probleme totzuschweigen. Vielleicht wäre es einfacher gewesen, alles auf den Tisch zu packen. Vielleicht hätte es sie gestärkt, und sie wären mit neuen Kräften neu aufgebrochen, mit Narben zwar, aber einander umso näher.
So konnte man es im nachhinein sehen, aber damals war es schwierig. Der elende Tod des Schwiegervaters, die tristen Besuche auf einer Krankenstation, von der keiner mehr nach Hause zurückkehrte, sie beide abwechselnd mit Liina auf dem Schoß, dem neuen Leben, und im Bett Kaarlo, durchsichtig wie Papier und bis kurz vorm Ende mit einem verzerrten Lächeln für das muntere kleine Enkelkind, zu dessen Taufe er es nicht mehr schaffen würde. Es war ungerecht. Er war erst vor kurzem in Rente gegangen, und dem äußeren Anschein nach hatte er sich, von einem hartnäckigen Husten abgesehen, gut gehalten. Er hatte einen offenen Blick und den eisernen Händedruck des Truckers. Viitasalo hatte sich in seiner Gegenwart immer wohlgefühlt. Kaarlo hatte laut und gern gelacht, meistens über seine eigenen Geschichten, über die die Frauen der Familie glucksend die Köpfe schüttelten. Erst beim letzten Besuch hatte er nicht mehr gelächelt. Er hatte mit offenen Augen, aber abwesend in einem Zimmer gelegen, in dem es nach Tod und Morphium roch.
Das ganze Jahr damals war eine Zeit der Gegensätze gewesen, eine verwirrte und unwirkliche Zeit. Unter anderen Umständen wären sie vielleicht zu einem Schuldnerberater gegangen, um einen Ausweg aus ihrer Misere zu finden. Es wäre die vernünftige Alternative gewesen. Die andere war genau zum falschen Zeitpunkt gekommen, mitten in der verwirrten und unwirklichen Zeit. Ungefragt. Die schlechteste aller denkbaren Alternativen: der Westhafen .
Vielleicht hätte er, nachdem er sich dafür entschieden hatte, wenigstens reden und nicht lügen sollen. Vielleicht hätten sie es gemeinsam besser geschafft. Vielleicht hätten sie sogar noch mal von vorn anfangen können. Vielleicht hätten sie darüber reden sollen, dass Liina kaum noch hinfiel, als sie in eine Krippe kam. Zu Hause war sie ein schwieriges Baby gewesen, kaum in Schach zu halten. Mindestens einmal am Tag war sie Sari ausgekommen, obwohl sie auf ihren kurzen Beinchen nur ein paar hastige, unsichere Schritte machen konnte, bevor sie auf den Hintern plumpste. Trotzdem hatte das Mädchen ständig Quetschungen und blaue Flecken gehabt. In der Krippe nichts mehr davon, wie über Nacht, Simsalabim.
»Nein«, sagte Viitasalo und schloss die Seite. »Ich darf so was nicht mal denken. Sari hat damals nur sich selbst gemeint.«
Viitasalo warf einen Blick auf die Uhr. Es hatte keinen Wert, in alten Geschichten herumzustochern. Was heute war, darüber sollten sie reden. Die Uhr zeigte schon nach vier Uhr nachmittags. Im selben Augenblick klingelte sein Handy. Auf dem Display blinkte das Wort SCHATZ.
»Ja.«
»Wann kommst du?«
»Wieso?«
»Ich wollte nur wissen, ob du erst nach Hause kommst. Oder soll ich in die Stadt kommen?«
Viitasalo überlegte kurz. Dann erst erinnerte er sich. Das Kino. Sie wollten essen gehen.
»Komm in die Stadt. Ich komm direkt von der Arbeit.«
»In welchen Film gehen wir?«
»Überraschung«, sagte Viitasalo und knipste sich wieder ins Internet. Der Film würde auch für ihn eine Überraschung werden. Er tippte mit einem Finger die Adresse der Finnkino -Seiten.
»Juha?«
»Was?«
»Ich liebe dich.«
»Ich liebe dich auch«, sagte Viitasalo. Und er meinte es ehrlich.
Die Familie, bei der Tiina sittete, wohnte in der Ripasuontie im Westen Pakilas. Das einstöckige Haus aus weißen Ziegeln stand in einem hübschen Garten.
Vesa war durch den Nieselregen gelaufen und hatte bei Pakilan Pizza & Kebab eine Familienpizza und eine große Cola Light gekauft. Mit einem Anflug von Neid registrierte er, dass er von genau so einem Häuschen immer geträumt hatte. Darin hätte er gern seine Kindheit verbracht. Warum hatten die einen so was und andere nichts? Auf dem hölzernen Briefkasten am Anfang des Grundstücks stand nur eine Nummer, kein Name. Auch dem herbstlichen Garten sah man noch an, wie viel Zeit und Mühe jemand darauf verwendete, ihn zu pflegen.
Als er die Klingel drückte, sah
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