In der Falle - Leino, M: In der Falle
gestalten. Sie wollte ihm eine ausgeglichene und gute Mutter sein. Klein-Liina würde größer werden und sprechen lernen, und eines Tages würde sie ihr sagen, dass sie die beste Mutter der Welt war! Weil sie das auch war. Das Problem war Juha.
Er hatte eine andere Frau, der er das Geld nachschmiss, obwohl die eigene Familie jeden Cent hätte gebrauchen können. Juha wusste nicht mal, wie viel Kinderkleider und alles andere, was ein Baby brauchte, kosteten. Sie konnten es sich nicht mehr leisten, genau wie bei der ersten Liina. Da hatte sie die Sachen für das Kind heimlich beschaffen müssen. Juha liebte sie nicht nur nicht, er hasste sie. Er wollte, dass es sie gar nicht gab.
Sari schaukelte Klein-Liina auf dem Schoß und summte leise. Sie durfte nicht negativ denken, wie es ihr bei der ersten Liina passiert war. Und plötzlich wurde ihr eiskalt. Sie hielt inne und schaute sich im Zimmer um. Zum ersten Mal seit Klein-Liinas Geburt begriff sie, dass es gar keine erste Liina gab. Es gab nur diese eine Klein-Liina auf ihrem Schoß und das Buch vom Kleinen Prinzen auf dem Tisch, das zusammen mit der liebenden Mutter den Schlaf der süßen Klein-Liina bewachte. Die erste Liina war nur ein Alptraum, ein böser Traum, den sie gehabt hatte. Juhas Betrug hatte sie dazu gebracht, sich all die schlimmen Dinge einzubilden. Juha hatte ihr nur deshalb immer Vorwürfe gemacht, weil er die eigene Schuld nicht wahrhaben wollte. Sie waren gar nicht vier, sie waren drei.
Und doch lag im Schlafzimmer dieses kleine Mädchen.
Und plötzlich ging Sari auf, dass dieses Mädchen eine Projektion in die Zukunft war, eine Warnung vor dem, was kommen würde, wenn sie sich vor Juha nicht in Acht nahm. Zum Glück war noch nichts passiert. Alles war noch gut! Das Mädchen war nur die Prophezeiung des Bösen. Es war nicht wirklich. Es hatte nichts mit dem süßen schlafenden Bündel auf ihrem Schoß zu tun. Sie war eine gute Mutter, eine warme Mutter. Eine liebende Mutter, das war sie.
»Klein-Liina muss dahin, wo das Mädchen ist. Erst dann ist ihre Zukunft sicher«, flüsterte Sari und betrachtete dabei das wunderbare Baby auf ihrem Schoß. Dann stand sie auf.
Als sie in Liinas Zimmer trat, hielt sie Klein-Liina in den Armen. Obwohl es im Zimmer dunkel war, erkannte sie die kleine Gestalt, die im Bett auf der Seite lag. Ihre hellen Haare ergossen sich über den blauen Kissenbezug wie eine Flüssigkeit. Das kleine Kinn lag zwischen den weichen Ohren von Teddy Pontus, den das Mädchen an sich drückte. Die Bettdecke hatte es zu einem Knäuel am Fußende gestrampelt.
Sari setzte sich vorsichtig auf die Bettkante und hielt Klein-Liina über den Kopf des Mädchens. Das Mädchen röchelte leise. Es sah so süß aus, dabei war es so falsch. Sari spürte, wie ihre Hände zitterten. Sie musste es tun, sonst war alles verloren. Und trotzdem zögerte sie. Plötzlich hatte sie das Gefühl, genau diese Situation schon einmal erlebt zu haben. Damals, als das Mädchen mit dem Teddy genauso klein gewesen war wie jetzt Klein-Liina, fast so klein wie Teddy Pontus, den sie als kleines Mädchen auch schon im Arm gehalten hatte. Träumte sie jetzt, oder hatte sie damals geträumt? Oder war das alles ein Test, den sie bestehen musste, wenn sie ihr Leben wieder in Ordnung bringen wollte? Sie hielt Klein-Liina so nah an das Gesicht des Mädchens, dass sie selbst es nicht sehen konnte.
»Mama?!«
Sari zuckte zusammen, als sie die Stimme hörte. Es war nicht die von Klein-Liina. Sie kam aus dem Bett. Sie zog Klein-Liina schnell an sich. Klein-Liina fühlte sich formlos an und kalt.
»Mama, was ist los?«
Das Mädchen im Bett sah sie mit schläfrigen Augen an, und plötzlich war es, als schaute sie in ihre eigene Vergangenheit. Das Mädchen war wie sie vor über dreißig Jahren.
»Wozu ist das Kissen? Willst du dich neben Teddy Pontus und mich legen?«
»Das Kissen?«
»Ja.«
Sari schaute Klein-Liina an. Sie hatte sich verändert. Sie sah aus wie ein einfaches Kissen und fühlte sich auch so an.
»Es … es ist noch vom Sofa«, sagte sie mit kaum hörbarer Stimme. »Mama kommt nur, um dir zu sagen … Mama liebt dich. Für immer.«
»Ich lieb dich auch.«
»Gute Nacht, Schatz!«
Sie stand auf und flüchtete aus dem Zimmer.
Erst im Wohnzimmer ließ sie den Tränen freien Lauf. Sie begriff, was sie beinahe getan hätte, und das versetzte sie in Panik. Sie setzte sich aufs Sofa und schob das Kissen angewidert von sich. Es fiel vom Sofa herunter auf den
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