In der Hitze der Nacht
»Ich verspreche, ich werde es nicht mehr erwähnen und mich nur noch wie deine korrekte Anwältin verhalten. Deine Chefin hat sich also in deine Mutter verliebt?«
»Das hat eigentlich alles überhaupt nichts mit dem Fall zu tun«, sagte Tina, warf einen Blick auf Mar und ging dann zum Fenster hinüber. Sie verschränkte die Arme und schaute hinaus. »Aber es stimmt, ja.« Sie atmete tief durch. »Ich denke, Susanne – das war meine Chefin: Susanne Ewers –«, wandte sie sich erklärend zu Mar zurück, »war sehr glücklich, endlich jemand zu haben. Sie war vorher sehr einsam.« Für einen Moment verstummte sie. »Meine Mutter hat sie dann überredet, einfach zu kündigen und mit ihr mitzugehen. Von selbst hätte Susanne das sicher niemals getan.« Sie lachte auf. »Wenn du Susanne Ewers kennen würdest, hättest du das im Leben nicht für möglich gehalten.«
»Du denkst, daß es falsch war, was deine Mutter getan hat?« fragte Mar.
»Nein.« Tina drehte sich um und schaute sie an. »Ich denke, daß Susanne ein bißchen Glück verdient hat. Auch wenn es nur für eine begrenzte Zeit ist. Und sie ist glücklich mit meiner Mutter, auch wenn sie weiß, daß ihre Liebe nicht in derselben Form erwidert wird.«
Mar lachte leicht. »Wenn ihr das reicht . . .«
Tina hob die Augenbrauen.
»Sorry.« Mar räusperte sich. »Aber wie kam es denn nun zu der fristlosen Entlassung?«
Tina atmete tief durch. »Weil Susanne gekündigt hatte, mußte ihr Posten kurzfristig neu besetzt werden. Ihr Nachfolger ist ein Mann, Herr Bruhns.« Sie preßte die Lippen zusammen.
Mar beobachtete diese Reaktion und entnahm daraus, daß Herr Bruhns keine Verbesserung gegenüber seiner Vorgängerin darstellte. »Was ist mit ihm?« fragte sie.
Tina seufzte. »Er hält sich für Gottes Geschenk an die Frauen.«
»Ach du je«, sagte Mar.
»Ja.« Tina lehnte sich an die Wand. »Einige meiner Kolleginnen waren gar nicht so abgeneigt, aber als er es bei mir versuchte, hatte er natürlich Pech.«
Mar fühlte, wie sich ihre Kiefer verspannten. Wenn sie sich vorstellte, wie dieser Kerl versucht hatte, Tina anzufassen, stieg Wut in dir auf. Das geht dich nichts an, rief sie sich selbst zur Ordnung. Du bist nur ihre Anwältin, sonst nichts. »Hast du ihn wegen sexueller Belästigung angezeigt?« fragte sie unterdrückt.
»Das hätte ich wohl tun sollen.« Tina seufzte erneut. »Aber leider habe ich es nicht getan. Und jetzt sähe es wie eine Retourkutsche aus.«
»Hm.« Mar klopfte immer wieder mit ihrem Stift auf die Tischplatte, ohne es zu merken.
»Könntest du damit aufhören?« Tina kam zu ihr herüber. »Es macht mich noch nervöser, als ich es sowieso schon bin.«
»Tut mir leid.« Abrupt verstummte das Geräusch, als Mar zu Tina hochblickte. »Was hat er . . . dir getan?« Wieder fühlte sie diese Anspannung in ihren Kiefern.
»Das möchte ich ungern näher beschreiben«, sagte Tina. »Es hat ja nun auch gar keinen Sinn mehr. Der Zeitpunkt ist verpaßt.« Sie ging zum Besucherstuhl zurück und setzte sich wieder.
»Es wäre durchaus immer noch ein Argument«, erwiderte Mar. »Heutzutage sind die Gerichte bei so etwas sensibel.«
»Es wäre mir lieber, ich könnte beweisen, daß ich unschuldig bin«, sagte Tina. »Daran liegt mir mehr.«
»Na gut.« Mar nickte. »Lassen wir das andere erst einmal beiseite.« Sie fragte sich, wie Tina das konnte. Sie selbst war immer noch wütend, allein bei der Vorstellung. »Was werfen sie dir vor?«
Tina lachte sarkastisch auf. »Oh, eine ganze Menge!« Anscheinend war sie erneut zu nervös, um auf dem Stuhl sitzenzubleiben. Sie stand auf und lief im Zimmer umher. »Zuerst einmal die Zeitabrechnung. Sie behaupten, ich hätte Stunden aufgeschrieben, in denen ich gar nicht gearbeitet habe.«
»Habt ihr denn kein elektronisches System?« fragte Mar. »Das haben die meisten Firmen doch heute.«
»Wir nicht«, sagte Tina. »Wir haben immer noch Stempelkarten. Es ist seit Jahren geplant, das umzustellen, aber die Zweigstelle, in der ich sitze, ist in einem alten Haus«, sie machte eine Bewegung mit der Hand, »ähnlich wie dieses hier, und da fehlen bislang die nötigen Installationen.«
»Gut, also Stempelkarten.« Mar zog ein Blatt Papier zu sich heran und schrieb ein paar Sachen auf. »Aber die Karte ist doch bei dir, oder nicht?«
»Nein.« Tina biß sich auf die Lippe. »Sie steckt in einem Gestell auf dem Gang neben der Stempeluhr, wie die aller anderen auch. Wir nehmen sie nur am
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